Zwischen den Orten

Von der Bereicherung, zwei geographische Prägungen erfahren zu haben, und dem Leben mit und nach der Gewalt: Sudabeh Mohafez liest im Literaturzentrum aus ihren Erzählungen

von Carola Ebeling

„Wer sind wir, wenn die Orte um uns fern von den Orten in uns sind?“ Für die Autorin Sudabeh Mohafez ist dies eine Schlüsselfrage. Eine, die sie umtreibt, seit sie 1979 als 16-Jährige mit ihrer deutschen Mutter und dem persischen Vater aus Teheran nach Berlin kam. In einem Essay für ein Berliner Magazin hat sie sie aufgeschrieben, in Interviews zu ihrem Debüt Wüstenhimmel Sternenland, das sie jetzt im Literaturzentrum vorstellt, oft darüber gesprochen.

Sie trage, sagt sie, „zwei Geographien“ in sich. Und jene, die unsichtbar bleibe – die des Iran – sei genau so wahr wie die Straßen Berlins. Beide Orte haben ihre Persönlichkeit geprägt, ihre Art zu denken und wahrzunehmen beeinflusst. Sie selbst empfinde das als Bereicherung, aber ihre Umgebung dränge sie oft zur Eindeutigkeit, die ihr nicht gerecht würde, erzählt sie.

In den sieben Texten des Bandes ist dieses Aufgespanntsein zwischen zwei Welten zentrales Thema und wird zugleich entschärft, denn hier dürfen beide Bilderwelten ihren Ausdruck finden. Hier erlaubt sich die Autorin, wofür sie im Alltag oft noch Verständnis einfordern muss – den doppelten Blick.

„Er ist wieder da. In all seiner Pracht, leuchtend, schimmernd, unwiderstehlich. Er ist wieder da und hat mich überrascht, wie immer. Er kommt und geht, wie es ihm passt.“ Es ist der Damâwand, einer der größten Berge des Iran, der in der Eingangserzählung „Sediment“ der Erzählerin inmitten des Berliner Feierabendverkehrs vor Augen steht. Seine Erscheinung ist ihr selbstverständlich geworden, manchmal bleibt er Wochen, schiebt sich vor die Straßen und Häuser Berlins. Diese kleine Erzählung ist ganz dominiert von der Stärke des Berg-Bildes, eine inhaltliche wie formale Stärke, die so ohne jedes Pathos eine große Sehnsucht zum Ausdruck bringt. Das Verlassen des einen und das Ankommen im anderen Land und der Versuch, beide zu verbinden, ist auch in „Orte“ zentrales Motiv; ein poetischer Gesang: „Aus Kopfsteinpflaster und Zikadengesang baute ich anderntags mir ein Haus, und der Maulbeerbaum war mein Spaten.“

Gewalt, vor allem die gegenüber Frauen und Kindern, ist das zweite Grundthema der Erzählungen, das sich oft mit dem ersten verbindet. Dass diese Gewalt sich nicht an geographische Grenzen hält, daran lässt die Autorin keinen Zweifel. Als langjährige Geschäftsführerin im 2. Autonomen Frauenhaus Berlin hat sie sehr genau vor Augen, wovon sie spricht. Die Gewalt beginnt mit der Demütigung, Verhöhnung eines Kindes durch Erwachsene wie in „Der Zeitlupenschrei“; eine Geschichte, die sich im Iran abspielt, ihrem Kern nach aber auch andernorts anzusiedeln ist. Geschildert wird die Angst, der Schrecken eines Kindes, als es sieht und hört, wie ein Kamel rituell getötet wird. „Später grinste eine Stimme durchs Zimmer.“ Ein Satz, der das Perfide ahnen lässt, das folgt: Der Vater, der vor aller Augen das Kind mit dem gekochten Kamelfleisch voll stopft. „Sie sammeln die Atemnot, die Übelkeit und die Angst in einer Woge aus kreischendem Gelächter und schlagen sich auf die Schenkel dabei.“ Auch schlagende Ehemänner und sexuell misshandelte Kinder sind Protagonisten Mohafez‘. Der Fokus der Autorin richtet sich dabei immer ganz auf die Opfer. Sie erzählt von dem Leben mit und nach der Gewalt. Mohafez schöpft aus einer reichen Bilderwelt, schreibt drastisch und schwärmerisch, und so versammelt dieses beeindruckende Debüt Erzählungen von äußerster atmosphärischer Dichte.

Sudabeh Mohafez: Wüstenhimmel Sternenland, Zürich/Hamburg 2004, 123 S., 17 Euro. Lesung: Mittwoch, 16. 2., 20 Uhr, Literaturzentrum, Schwanenwik 38