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Kino als Broterwerb

Vom treuen Studioangestellten zur Institution des koreanischen Films: Im Kwon-Taek arbeitet an der hundertsten Produktion. Am Samstag bekam der koreanische Regisseur den Goldenen Ehrenbären

VON DIETMAR KAMMERER

Der Boom, den das „neue koreanische Kino“ international und auch in Deutschland in den vergangenen Jahren erleben durfte, ist nicht zu übersehen. Längst werden die Filme aus der südlichen Hälfte des geteilten Landes nicht mehr lediglich als Teil einer allgemeinen Begeisterung für ein aufregendes Kino aus Fernost wahrgenommen, also quasi im Fahrwasser der Erfolge der lange Zeit künstlerisch wie finanziell dominanten Filme aus Hongkong, sondern als eigenständige Produkte einer immer selbstbewusster auftretenden nationalen Filmindustrie. Regisseure wie Kim Ki-Duk, der bereits mit zwei Filmen auf den Wettbewerb der Berlinale eingeladen war („Bad Guy“, 2002; „Samaritan Girl“, 2004), oder Park Chan-Wook, dessen umstrittener „Old Boy“ vergangenes Jahr in Cannes den Großen Preis der Jury einstreichen konnte, sind auf internationalen Filmfestivals bereits feste Größen. Aber auch in den koreanischen Multiplexen machen heimische Produkte, unterstützt allerdings durch eine rigide staatliche Quotenpolitik, ordentlich Kasse und überflügeln dabei noch die gängigen US-Blockbuster. Dieser Korea-Mainstream, der in puncto Special Effects, Spektakel und Schnittgeschwindigkeit die Action-Konkurrenz, vor allem aus Hongkong, um jeden Preis übertrumpfen will und kann, schafft es zwar selten in den deutschen Kinoverleih, ist aber dank spezialisierter Videolabels auch hierzulande sogar in Synchronfassungen erhältlich.

Es ist also nicht bloß der Initiative der Bundesregierung zu verdanken, die 2005 zum „Korea-Jahr“ erkoren hat, dass die Berlinale in diesem Jahr einen Regisseur mit einem Schwerpunkt ehrt, der als Institution dieser Filmindustrie angesehen werden kann, der sozusagen für das koreanische Kino als Ganzes steht: im Kwon-Taek. Gern wird in Porträts als Erstes die Zahl der realisierten Filme des Regie-Veteranen genannt: Neunundneunzig, die einhundertste Produktion bereitet der 71-Jährige zurzeit vor. Doch es ist nicht die schiere Länge seiner Filmografie, die ihn zur herausragenden Figur der Filmkultur seines Landes macht. An einen beeindruckenden filmischen Output ist man, was asiatisches Kino angeht, schon gewöhnt. Und Im Kwon-Taek selbst hält etwa die Hälfte seines Werks für vernachlässigbar: kommerzielle Arbeiten im Mainstream, um die staatlichen Quoten zu erfüllen, produziert in einem strengen Studio-Korsett und nach vorhersehbaren Genre-Formeln.

Bis 1973 hat er auf diese Weise mehr als fünfzig Titel gedreht, allesamt Auftragsarbeiten vom Kriegsfilm übers Melodram bis zum historischen Kostümfilm. „Der Sinn meines Lebens ist der gleiche wie der meiner Arbeit: Filme zu machen“, wird er sagen können. So spricht und arbeitet einer, der zum Kino nicht aus Liebe, sondern zum Broterwerb gekommen ist. Freunde brachten Im Kwon-Taek, der sich bis dahin als Tagelöhner ohne Ausbildung durchs geteilte Nachkriegskorea schlagen musste, 1956 zum Film: nicht durch die Vordertür, sondern als Hilfsarbeiter. Einer Karriere bis zum Regieassistenten verdankt er 1962 seine erste eigene Filmarbeit: „Farewell to the Duman River“, ein Dutzendwerk über den koreanischen Widerstand gegen die japanische Besatzung, aber erfolgreich genug, um dem jungen Regisseur weitere Aufträge einzubringen, die er mit steigender Routine, aber noch ohne Ambitionen auf eine persönliche Handschrift, als treuer Studioangestellter verwirklicht.

Die Wende im Schaffen Im Kwon-Taeks setzt ab etwa 1980 ein – dem Jahr, in dem die koreanische Militärregierung den Aufstand in Kwangju mit Waffengewalt niederschlug. Seither sind seine Filme immer deutlicher Ausdruck einer eigenen künstlerischen Vision und Formensprache, in der sich Experiment und Mainstream verbinden. In „Gilsoddeum“ (1985), der von den Wunden des Bürgerkrieges handelt, inszeniert er Spielszenen vor dokumentarischem Material. Es sind historische Massenszenen von Menschen, die sich auf die Suche nach verschollenen Angehörigen begeben. Das nüchtern-realistische Melodram erzählt von der Entscheidung einer Frau, die nach dreißig Jahren ihren Sohn wieder findet und dennoch verleugnet, da sie weiß, dass die Trennung und Entfremdung voneinander nicht rückgängig gemacht werden kann.

Dennoch, ein Experimentalist der Formen ist Im Kwon-Taek sicher nicht. Seine Stärke liegt in der Behandlung und der Vielfalt seiner Themen: Schicksal, Geschichte und Kultur seines Landes – was ihm, zusammen mit seinen Studio-Anfängen, schon die Bezeichnung „John Ford des koreanischen Kinos“ eingebracht hat –, wobei er in jedem Film zu einer eigenen Herangehensweise an das Sujet findet. Sein Werk behandelt die jahrzehntelange Besatzung („The Genealogy“), die Stellung der Frau in der Gesellschaft („Ticket“, „The Surrogate Mother“), das Zusammenspiel der verschiedenen Religionen des Landes („Mandala“, „Fly High, Run Far“). Dem Schicksal des Dialekts der Provinz, aus der Im Kwon-Taek stammt, hat er eine Trilogie gewidmet. „Chukje“ („Festival“), sicherlich einer seiner schönsten Filme, verwebt zärtlich-märchenhafte Erinnerungen an seine Mutter mit dem heiteren Überschwang der mehrtägigen Trauerzeremonie, die im Trubel und der Trunkenheit der Gäste unterzugehen droht.

Im Kwon-Taek, bereits zum siebten Mal Gast der Berlinale, erhielt für sein Gesamtwerk am Samstagabend im Berlinale-Palast den Goldenen Ehrenbären. Zu Ehren des Altmeisters lief im Anschluss an die Ehrung „Chunhyang dyeon“ (2000), ein prachtvoll inszenierter Kostümfilm nach einer populären Erzählung um einen Prinzen, seine Familie und seine Liebe zur Tochter einer Kurtisane.

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