„In Berlin ist China-Kompetenz versammelt“

Dass die Hauptstadt das viele China-Wissen ihrer Institutionen allerdings kaum nutzt, davon ist Galerist Alexander Ochs überzeugt. Er plädiert für eine systematische Bestandsaufnahme in der selbst ernannten Ost-West-Metropole

taz: Herr Ochs, Sie selbst sind seit 1992 mit China beruflich verbandelt. Verpasst Berlin tatsächlich den Zug nach Peking, also Beijing?

Alexander Ochs: In Berlin ist eine große China-Kompetenz versammelt, zum Beispiel veranstaltete Berlin 1993 mit „China Avantgarde“ die weltweit erste Ausstellung zeitgenössischer chinesischer Kunst. Die Ruine der Künste in Dahlem präsentierte schon sehr früh Beijinger Künstler. Der Vizepräsident der Pekinger Kunstakademie, Tan Ping, hat in Berlin studiert. Doch der Senat fragt dieses interkulturelle Wissen gar nicht ab.

Sollen denn die Neugier und die Auseinandersetzung mit dieser aufstrebenden Macht vom Senat organisiert werden?

Nein, ich brauche keine Clearingstelle. Aber wir haben keinerlei Systematisierung dessen, was läuft. Gäbe es diese, würde klar, dass es zwischen Berlin und Beijing vielfältigste persönliche Beziehungen gibt. Ich habe dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit vor zwei Jahren Vorschläge unterbreitet, was man damit machen könnte. Nach anfänglicher Offenheit null Resonanz.

Ist Berlin von China aus gesehen überhaupt interessant?

Die Chinesen haben sehr viel schneller als die Deutschen verstanden, was Beziehungen zwischen Hauptstädten sein können. Da geht es jeweils um philosophisches, politisches, auch spirituelles Kapital und um interkulturelle Kompetenz.

Welche Rolle spielt Berlin denn in der kulturellen Rezeption Deutschlands in China?

Ich bin dafür, dass erst einmal Berlin selbst eine Bestandsaufnahme macht, was wir denn den Chinesen anbieten können. Wo sind die Restaurants und die Hotels, die auf chinesische Touristen eingestellt sind? Wo sind die Regelungen, die es chinesischen Studierenden erleichtern, auch nach dem Studium eine Weile hier zu arbeiten? Und wir sollten gemeinsame Geschichte aufarbeiten. Ich bin davon überzeugt, dass – neben vielen Verbrechen der Moderne – das größte Verbrechen an der chinesischen Kultur die Einführung des marxistischen Fünfjahresplans war. Das widerspricht jedweder kulturellen Definition der Chinesen.

Sehen sie, was die Kultur betrifft, überhaupt Parallelen zwischen Berlin und Beijing?

Hier bei uns wurde viel Kunst durch den Markt zerstört, in China durch die Ideologie. In beiden Städten ist man in einer Phase kritischer Rekonstruktion des Eigenen. Die größte Differenz findet sich in der mangelnden Rechtstaatlichkeit in China. Man muss dort ein Gefühl dafür entwickeln, wann und wo man laut darüber spricht und wo nicht. Sprechen kann man über alles.

China polarisiert sehr stark. Was die einen begeistert, finden die anderen abstoßend.

Natürlich haben wir ein grundsätzliches Problem mit diesem Land, nämlich voneinander abgetrennte Rezeptionshaltungen. Die einen sprechen über Feng-Shui, die anderen über Menschenrechte und die dritten nur über den Wirtschaftsboom: 1,3 Milliarden Konsumenten. Es gibt aber keinen Markt für ein Produkt, das sich 1,3 Milliarden Mal verkaufen ließe. 600 Millionen Menschen dort sind arm.

INTERVIEW: A. WOLTERSDORF