piwik no script img

nebensachen aus tokioJapans Passion für den perfekten Abort oder Abführen zu Mozart-Klängen

Eine Nebensache ist er keineswegs: der Gang zur Toilette. Durchschnittlich 2.000-mal pro Jahr sucht der Mensch diese Orte der Entleerung auf. Doch nur in Japan wird diesem Geschäft gebührend Beachtung geschenkt. Die Nation feiert einen Tag des Klos, an dem unter Mithilfe hunderter freiwilliger TesterInnen die schönste öffentliche WC-Anlage prämiert wird.

Japanische Gourmetführer beurteilen Restaurants auch nach Gestaltung und Qualität der Aborte, und Privathaushalte scheuen keinen Aufwand für ein perfektes WC. Profanere Schüsseln sind ab 600 Euro zu haben, nach oben gibt’s keine Grenzen. In mehr als der Hälfte der Haushalte sitzt man auf „Washlets“. Das sind wahre Superschüsseln mit Bidetbetrieb – digital ferngesteuert. Die Wassertemperatur lässt sich regulieren, die Stärke des Wasserstrahls, die Spülung. Föhnen und das Anwärmen der Klobrille sind Grundfunktionen.

Ebenfalls Standard sind die künstlichen Wasserfallgeräusche, die Fürze im digitalen Geplätscher untergehen lassen. Raffiniertere Geräte werten den Urin medizinisch aus oder deodorieren die Schüssel, sobald der Geruchssensor Alarm schlägt. Bald werden Japans Toilettenunternehmer die Frühlingkollektion auflegen. Apricot-rosa soll der letzte Schrei sein, Plumpsgeräusche werden mit klassischer Musik neutralisiert.

Total gaga die Japaner? So irritierend das erstmalige Aufsitzen auf eine vorgewärmte Klobrille sein kann, so unentbehrlich wird diese Funktion an kalten Wintertagen. Erst recht in Tokio – der Stadt ohne Zentralheizungen und der eiskalten Klohäuschen. Japans unangefochtene Stellung in der Toilettenkultur mag erstaunen, weil das Land in punkto Sanitärinstallationen ein Spätzünder ist. Bis zum Zweiten Weltkrieg war das Plumpsklo allgegenwärtig. Von französischer, schweizerischer und US-Toilettentechnologie inspiriert, trieb Japan die Entwicklung voran. Rückschläge steckten die Klopioniere weg. Dazu gehört das Frauenurinarium. Es wurde zur Olympiade 1964 im Tokioter Nationalstadium installiert, um den Durchlauf in Damentoiletten zu erhöhen. Doch das Produkt wurde wieder fallen gelassen.

Eine echte Liebe zur Toilettentechnik konnte sich außerhalb Japans nirgends entwickeln – anders als Nippons Autos blieb den Hightechtoiletten der internationale Durchbruch verwehrt. Zu loben ist daher die Initiative des Japanischen Toiletten-Vereinigung (JTA), einer Non-Profit-Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die japanische Klokultur weltweit zu propagieren. Die JTA war 1996 eine Hauptinitiatoren des ersten Welt-Toiletten-Gipfels, wo sich Fachleute über Qualitätsförderung im Toilettenwesen austauschten.

Gastland des jüngsten Treffens war China, das im Hinblick auf die Olympischen Sommerspiele 2008 die Welt auch mit bahnbrechender Toilettentechnik auf die Plätze verweisen will. Bisher haben sich vor allem Staaten wie China oder Singapur von der japanischen Leidenschaft für den perfekten Abort anstecken lassen. Kein Zufall: In diesen geschäftigen Gegenden ist das Klo für viele der einzige stille Ort.

MARCO KAUFFMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen