Bonn entschlüsselt Giftcocktail der Speikobras

Zoologen der Universität Bonn entschlüsseln die Giftbisse von Speikobras: Sie maximieren ihre Trefferquote durch schnelle Kopfbewegungen. Eine Legende wurde aber zerstört: Die Schlangen speien nur, wenn sie sich bedroht fühlen und erlegen mit dem Gift keine Beute

Das kann ins Auge gehen. Speikobras spucken ihr Gift etwaigen Angreifern ins Gesicht – nach manchen Berichten sogar über eine Entfernung von mehreren Metern. Erstaunlich häufig trifft der ätzende Toxincocktail die Augen des Gegners und kann sogar zur Erblindung führen. Zoologen der Universität Bonn haben jetzt herausgefunden, wie die Schlangen ihre Trefferquote maximieren: Während sie das Gift mit hoher Geschwindigkeit aus ihren Fangzähnen herausschießen, bewegen sie den Kopf kreisend oder wippend hin und her.

Die Rote Mosambik-Speikobra richtet sich auf und fixiert das Gesicht, das sich vor ihr hin- und herbewegt. Einige Sekunden steht sie so; dann zuckt ihr Kopf blitzartig nach vorne. Für einen Moment sind in ihrem weit aufgerissenen Maul die Fangzähne vor dem blassrosafarbenen Schlund zu sehen, während sie ihr Gift dem Feind mit Hochdruck entgegen spuckt. Auf dem Kunststoffvisier von Katja Tzschätzsch erscheinen zwei spiralförmige rote Muster. Die Augen dahinter blicken erstaunlich unbeeindruckt. „Ich habe das Visier vorher mit Rhodamin bestäubt“, erklärt die Forscherin nüchtern, „das ist ein Pigment, das Flüssigkeiten rot einfärbt. So sind die Giftspuren besser zu erkennen“. Die angehende Lehrerin hat in ihrer Examensarbeit untersucht, wohin Speikobras beim Spucken zielen. „In der Literatur heißt es oft: Die spucken auf die Augen“, erklärt ihr Betreuer Guido Westhoff, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe von Professor Horst Bleckmann, „so richtig untersucht hat das bislang aber noch niemand.“

Der Toxincocktail besteht einerseits aus Nervengiften, enthält aber auch Komponenten, die das Gewebe schädigen. Durch einen feinen Kanal in ihren Giftzähnen können die Schlangen die Flüssigkeit unter hohem Druck wegspritzen – ähnlich wie die Kugel in einem Gewehrlauf. Treffen sie dabei ein Auge, reagiert die empfindliche Hornhaut mit starken brennenden Schmerzen. Im ungünstigsten Fall führen die Verätzungen schließlich zur Erblindung.

Als Versuchstiere dienten Katja Tzschätzsch vier Mosambik- und sechs Schwarzhals-Speikobras aus dem Tierhaus am Poppelsdorfer Schloss In Bonn. Bei ihren Experimenten trat sie ihnen entweder mit einem Plastiksichtschutz bewehrt selbst gegenüber oder konfrontierte sie mit verschiedenen Fotos. Für beide Arten hielt sie den Spuckvorgang zudem mit einer Hochgeschwindigkeits-Videokamera fest. „Die Schlangen spucken tatsächlich nur auf sich bewegende Gesichter“, so ihr erstes Ergebnis, „Bewegungen mit der Hand reichten dazu bei keinem der Tiere aus“. Von den Fotos ließen sich nur zwei Kobras stimulieren. Selbst wenn beide Augen fehlten, zeigte sich eine der Schwarzhals-Speikobras noch angriffslustig. „Für wirklich aussagekräftige Ergebnisse bräuchten wir aber eine größere Stichprobe.“ Wie treffsicher beide Arten sind, zeigte die Auswertung der Giftspuren auf den Fotos und dem Visier: Die Schwarzhals-Speikobras trafen bei acht von zehn Versuchen mindestens ein Auge, die Roten Mosambik-Speikobras waren sogar zu 100 Prozent erfolgreich. Die Spuren der beiden Arten unterscheiden sich allerdings deutlich: Während die Schwarzhals-Speikobra ihr Gift eher versprüht, erinnert die Toxin-Attacke ihrer rot gefärbten Verwandten an den Schuss aus einer doppelläufigen Wasserpistole.

Ausschlaggebend für die hohe Trefferquote ist ein Verhaltensmuster, das die Wissenschaftler bei beiden Arten beobachten konnten. „In der Superzeitlupe kann man deutlich erkennen, dass die Schlangen ihren Kopf beim Abschuss des Toxins schnell bewegen“, erklärt Westhoff. „Ganz ähnlich wie wir es machen, wenn wir beim Blumengießen mit dem Schlauch das ganze Beet wässern möchten.“ Dadurch verteilt sich das Gift über eine größere Fläche. Der ganze Vorgang dauert durchschnittlich nur eine zwanzigstel Sekunde und ist mit bloßem Auge nicht zu sehen. Mit einem Vorurteil möchte der Zoologe aufräumen: „Kobras spucken nur, wenn sie sich bedroht fühlen, nicht, um Beute zu machen. Alles andere ist Legende.“ Ihre Beute erlegen sie wie andere Giftschlangen auch, indem sie ihnen mit einem Biss ihr Gift injizieren, das dann im Kreislauf seine tödliche Wirkung entfaltet. Menschen gehören nicht zu ihrem Beutespektrum. Dennoch sind die Tiere gefährlich – selbst wenn sie noch sehr jung sind. Westhoff: „Ich bin schon einmal von einer gerade geschlüpften Speikobra attackiert worden _ die hat mich praktisch aus dem Ei angespuckt.“ HOLGER ELFES