Preisgekrönter Kosmopolit

Das „Tommaseo“ oder das „San Marco“ schlägt Claudio Magris als Treffpunkt vor, wenn er um ein Interview gebeten wird. In diesen Kaffeehäusern seiner Heimatstadt Triest, die heute noch an die alten Zeiten vor 1919 erinnern, als noch die Habsburger die italienische Hafenstadt regierten, fühlt sich der 70-jährige Germanist zu Hause. Hier liest er, schreibt er, empfängt er zum Gespräch.

Triest sei eine „Collage, in der nichts in die Vergangenheit übergegangen ist, in der die Zeit keine Wunde geheilt hat, in der alles gegenwärtig ist, offen und ungereift, in der alles koexistiert und sich berührt: das Habsburgerreich, der Faschismus, 1945“, sagte Magris einmal – er selbst steht für die mitteleuropäische genauso wie die kosmopolitische Tradition der Stadt.

Magris, von Profession Germanistikprofessor, machte schnell auch als überragender Schriftsteller und Essayist von sich reden. Als sein Meisterwerk gilt „Donau. Biographie eines Flusses“, das 1986 erschien; ihm folgten Theaterstücke, Romane, Erzählungen.

Zugleich aber mischt sich Magris auch ins aktuelle Geschehen Italiens ein. Bloß Episode blieb sein Ausflug in die Politik, als er sich 1994 an der Spitze einer „Liste Magris“ in den italienischen Senat wählen ließ. Doch seine Stimme hebt der überzeugte Liberale immer wieder, mit seinen Artikeln im Corriere della Sera und als Mitglied des Vereins „Giustizia e Libertà“, der vor allem gegen Berlusconis Medien- und Justizpolitik Stellung bezieht. Immer ist sein Ton dabei genauso unaufgeregt wie eindeutig in der Sache. Vor zwei Jahren wurde Magris als einer der Favoriten für den Literaturnobelpreis gehandelt. Am 18. Oktober erhält er, wie am Donnerstag bekannt wurde, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – für ihn „ein Mythos“, wie er freudig erklärte. MICHAEL BRAUN