Huren wie wir

DOKUMENTARTHEATER In dem Stück „Dreamdolls“ erzählen Prostituierte in einem Hamburger Club von sich und ihrem Beruf. Die Geschichten erinnern an RTL II, aber mit dem Spielen kennen sich die Damen aus

Es gibt keine zusammenhängende Bühne in diesem Raum, dafür gibt es Podeste, auf denen junge Frauen stehen und zum Publikum sprechen. „Ich wollte schon immer Prostituierte werden, seit ich wusste, dass es das gibt“, sagt zum Beispiel Miranda. „Auf nichts bin ich stolzer, als auf das Etikett ‚Nutte‘“, sagt Paula. „Ich versuche, mich so weit wie möglich von meinem Körper abzulösen“, sagt Eiko. „Weiblich zu sein, war etwas Abstoßendes für mich.“

Miranda, Paula und Eiko wissen, worüber sie sprechen, denn sie sprechen über sich selbst. Die drei arbeiten als Prostituierte und was sie an diesem Theaterabend namens „Dreamdolls“ im Hamburger Club Uebel und Gefährlich erzählen, das sind ihre eigenen Geschichten. Paula zum Beispiel: Als Tochter in einer bürgerlich gefestigten Familie war sie in der Schule einst Jahrgangsbeste. Die Prostitution sei für sie eine späte „extravagante Abnabelung vom Elternhaus“, sagt Paula. Später am Abend wird sie Querflöte spielen. Die einzige der Prostituierten, bei der die Berufswahl einer hässlichen Geschichte entspringt, ist Eiko.

Die insgesamt sechs Darstellerinnen tragen alle körperbetonte Kleidung und hohe Absätze, aber ihre Arbeitskleidung dürfte nochmal anders aussehen. Klar ist, dass hier gespielt wird, es geht um eine theatrale Selbstdarstellung und nicht um einen Seelenstriptease. Die beiden zentralen Themen sind die Gründe für ihre Berufsentscheidung und die Frage, wie sich ein privates Liebesleben vereinbaren lässt mit der Prostitution. Es gibt keine Handlung, der Abend ist als Collage angelegt.

Das Konzept von „Dreamdolls“ stammt von der 27-jährigen Regisseurin Maria Magdalena Ludewig, die in der Hamburger Spiel- und Produktionsstätte Kampnagel vergangenes Jahr ein ähnlich angelegtes Stück realisierte – damals ging es unter dem Titel „Perspektive Hamburg“ um 40 Hamburger Grundschulkinder, die von sich und ihrer Welt erzählten. Ludewig schloss mit „Perspektive Hamburg“ ihr Regiestudium an der Hochschule Ernst Busch ab. Auf Kampnagel wird sie sehr geschätzt, ist zu hören – ebenso wie das Dokumentartheater, das in diesem Fall als Koproduktion zwischen Kampnagel und dem Hamburger Lichthof-Theater entstanden ist.

Die Idee von sich selbst darstellenden Protagonisten mag in anderen Zusammenhängen tragen, im Fall von „Dreamdolls“ tut sie es nicht. Diese Geschichten vom Strich sind bekannt seit es Privatfernsehen gibt, es sind Geschichten, die man allabendlich auf RTL II erzählt bekommt. Auch nicht neu ist die Erkenntnis, dass es unter den Prostituierten dieser Welt intelligente Frauen gibt, die sich aus freien Stücken für den Beruf entscheiden und unter seinem schlechten Image zu leiden haben. Dass ihr Beruf viel mit Spiel zu tun hat, mit Rollen, die sie sich selbst und den Freiern gegenüber einnehmen, liegt ebenso auf der Hand.

„Dreamdolls“ zeigt allenfalls, dass junge Prostituierte Spaß daran haben können, gemeinsam mit einem jungen Produktionsteam freies Theater zu machen. Freies Theater heißt in diesem Fall: Es gibt Videokameras, Monitore, ein bisschen Klamauk, ein bisschen Live-Musik und eine abschließende Reflexion darüber, wie viel Schauspielerei in jederfraus Alltag steckt. Als wär‘s eine Studentenproduktion an der Schauspielschule. KLAUS IRLER

weitere Aufführungen: 20., 21. und 25. bis 27. Juni, 20 Uhr, Uebel und Gefährlich, Hamburg