Schwarzer Peter im Schlick

WATT Diese Woche entscheidet die Unesco über die Anerkennung des Nordsee-Wattenmeeres als Weltnaturerbe. Jedoch ohne den Hamburger Anteil, denn dem Senat sind Wirtschaftswachstum und Elbvertiefung wichtiger

Das Wattenmeer an der Nordseeküste ist das weltgrößte tideabhängige Sand- und Schlickwatt. Dort leben rund 3.200 Tierarten, 250 von ihnen sind endemisch. Zudem ist das Watt ein weltweit einmaliger Lebensraum für Millionen von Zugvögeln und eine Vielzahl bedrohter Tiere und Pflanzen. Vor den nordfriesischen Inseln Sylt und Amrum liegt das einzige deutsche Walschutzgebiet.

■ Mit mehr als 10.000 Quadratkilometern ist das Wattenmeer zwischen dem dänischen Esbjerg und Den Helder in den Niederlanden fast so groß wie Schleswig-Holstein. Der deutsche Anteil von knapp 7.500 Quadratkilometern unterliegt als Nationalpark den höchsten Schutzkategorien der Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg.

■ Der Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer rund um die Insel Neuwerk westlich der Elbmündung umfasst mit einer Fläche von lediglich 137,5 Quadratkilometern weniger als zwei Prozent der deutschen Fläche.

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Galapagos und Serengeti, Grand Canyon oder Great Barrier Reef – Areale mit dem Status „Weltnaturerbe“ werden in TV-Dokus serienweise frei Haus geliefert, und wer Geld und Urlaub hat, kann auch hinjetten und sie live in Augenschein nehmen. Kein Wunder, dass die Natur vor der eigenen Haustür bisweilen gering geschätzt wird. So wie das Nordseewattenmeer zwischen Esbjerg in Dänemark und dem niederländischen Den Helder.

Schleswig-Holstein, Niedersachsen und die Niederlande wollen es gerne von der Unesco als Weltnaturerbe anerkennen lassen, und die UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur ist nicht abgeneigt. Dänemark jedoch ist es egal, und Hamburg ist dagegen. „Es hat keinen Sinn, der Unesco vorzugreifen“, glaubt Volker Dumann, Sprecher der Hamburger Umweltbehörde.

Heute berät die Unesco im spanischen Sevilla über mehrere Dutzend Anträge auf Anerkennung als Naturerbe der Menschheit, und einer davon betrifft den Schlick vor der Westküste. Am Mittwoch bereits könnte eine Entscheidung fallen – und sollte sie negativ sein, hat Hamburg den schwarzen Peter. Dumann aber glaubt nicht, dass die Ehrung an den zwei Prozent Wattenmeer, welche der Hansestadt gehören, scheitern wird: „Hamburg ist ja nur eine Ergänzung.“

Eine Prognose will der Leiter des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer in Wilhelmshaven, Peter Südbeck, nicht abgeben. Dort sitzt das deutsche Wattenmeersekretariat, das den Antrag ausarbeitete. „Wir hoffen natürlich, dass es etwas wird. Aber eine Vorab-Einschätzung wollen wir nicht geben“, sagt Südbeck.

In dem umfangreichen Bewerbungsdossier wird die Einzigartigkeit des Wattenmeeres auf mehreren hundert Seiten genauestens dargestellt – von A wie Austernfischer bis Z wie Zwergseegras. „Es ist eine Landschaft von außergewöhnlicher Schönheit“, heißt es in dem Papier über jene Gegend, die viel mehr als kulleräugige Seehundbabys und Krabbenkutter-Romantik zu bieten hat. Das Watt sei die zentrale Drehscheibe des internationalen Vogelzuges von Kanada bis Sibirien, die Vielfalt der dortigen Lebensräume sei „bemerkenswert“ bis „geradezu einmalig“.

Was den Stadtstaat an der Elbe nicht anficht. Denn als Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) am 30. Januar 2008 den Anerkennungsantrag bei der Unesco einreichte, tat er das mit Zustimmung der CDU-Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein und Niedersachsen, Peter Harry Carstensen und Christian Wulff, aber gegen die Bedenken des Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust. Der damals noch mit absoluter Mehrheit regierende CDU-Senat befürchtete Probleme für die geplante Elbvertiefung. Wer das Weltnaturerbe fordere, „setzt tausende Arbeitsplätze aufs Spiel“, befand Wirtschaftssenator Gunnar Uldall damals. Denn dann würde „das ohnehin konkurrenzlos komplizierte deutsche Planungsrecht noch komplizierter“.

Er verstehe das Problem nicht, hatte der grüne Umweltexperte Christian Maaß geantwortet. In den Planunterlagen für die Elbvertiefung heiße es, sie habe „keinerlei ökologisch bedenklichen Auswirkungen“. Wenn diese Behauptungen korrekt wären, „müsste der Senat die Unesco nicht fürchten“.

„Im Grundsatz“ sehe er das Unterfangen durchaus „mit Wohlwollen“, sagte von Beust. Aber Hafenumschlag, Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze hätten nun mal Vorrang. Das sei eine „Grundbedingung“ für eine eventuelle Koalition nach der Wahl am 24. Februar. Diese ist eine schwarz-grüne geworden, Maaß ist jetzt Staatsrat der Umweltbehörde und lässt seinen Sprecher Dumann ausrichten, nach einer positiven Entscheidung der Unesco „müsste Hamburg wohl aktiv werden“.

Laut Koalitionsvertrag wollen CDU und GAL „das Gespräch wieder aufnehmen“, wenn die Elbe zum Zeitpunkt der Unesco-Entscheidung noch nicht vertieft sei. Ist sie nicht. Die öffentlichen Anhörungen sind erst vorige Woche beendet worden, ein Planfeststellungsbescheid liegt noch nicht vor, mit einem Baubeginn ist erst im kommenden Jahr zu rechnen. Danach will Hamburg Druck machen. „Auf Dänemark werden wir nicht warten“, kündigt Dumann an. Der nördliche Nachbar habe seinen Teil noch nicht mal als Nationalpark deklariert. Da ist die Hansestadt mit ihrem Fitzelchen Nordseewatt fast schon vorbildlich.