Folgen eines mordes
: Besser trauern und nachdenken

Manche Vorwürfe sind so dumm, dass es einem schon peinlich ist, sie zu verurteilen: Denn schon ihre Kommentierung impliziert ja, dass sie in irgendeiner Weise ernst genommen werden könnten. Zu diesen Dummheiten gehört die Aussage von CDU-Fraktionschef Zimmer, der Senat trage irgendwie eine Verantwortung für den Mord an Hatun S. und mache sich gar an zukünftigen Opfern mitschuldig, weil er nicht genug gegen den Islamismus in der Stadt tue. Das ist ungefähr auf dem Niveau, das Stoiber vorgab mit der Aussage, Schröder sei wegen der hohen Arbeitslosigkeit schuld am Erstarken der NPD. Wer solche Meinungsfürze hört, versteht, dass dieses Land nicht nur an Neonazis, Islamisten und Arbeitslosigkeit leidet, sondern auch an manchen Politikern.

KOMMENTAR VON PHILIPP GESSLER

Aber hier soll es nicht um billige Politikerschelte gehen, und natürlich sei versichert, dass die Solidaritätsbekundungen Neuköllner Schüler für die mutmaßlichen (Ehren-)Mörder von Hatun S. in ihrer Dumm- und Rohheit schmerzen. Wie kann es sein, dass solche Jugendliche, die im einigermaßen westlich-zivilisierten Berlin aufgewachsen sind, offenbar nach einem Ehrenkodex ticken, den selbst die meisten Greise in südostanatolischen Dörfern schon für veraltet halten dürften?

Da sind wir wieder bei der Van-Gogh- und Multikulti-Debatte des vergangenen Jahres, die natürlich ohne Ergebnis blieb, weil es bei diesen großen gesellschaftlichen Fragen keine endgültige Antwort geben kann. Deutlich ist nur, dass nun jeder wieder sein Süppchen kocht mit einem Mord, der uns statt zum reflexhaften Reden zum Nachdenken und Trauern verleiten sollte. Der Boulevard fletscht die Zähne, Polithirnis und rechte Demagogen wie Zimmer machen es ihnen nach. Und auch wenn es wirklich einmal an der Zeit wäre, die Einführung von LER voranzutreiben: Die Werteunterrichts-Debatte sollte nicht vor dem Hintergrund dieser Bluttat geführt werden. Aber solche Appelle sind vermutlich zwecklos.