Männerträume und Geschäfte

LUFTFAHRTINDUSTRIE Im Schatten der Krise feiert die Luftfahrtmesse in Le Bourget ihr 100-jähriges Bestehen

AUS LE BOURGET DOROTHEA HAHN

„Fantastisch – welche Eleganz, welche Leichtigkeit!“, seufzt die Dame. Sie trägt ein dunkelblaues Kostüm, ist beladen mit Hochglanzprospekten, auf deren Titelseiten Worte wie Zukunft, Verlässlichkeit und Sicherheit stehen. Hoch über ihr steigt ein „Rafale“ senkrecht in den Himmel. Das dunkelgraue Jagdflugzeug dreht Pirouetten um die eigene Längsachse, lässt sich im Sturzflug bis auf wenige Meter über die Ausstellungshallen fallen, schnellt sofort wieder hoch und zerschneidet den Himmel mit waagrechten weißen Linien.

Rund um die Dame stehen Männer in Anzügen oder Uniformen, Fachleute der Luftfahrt. Alle starren in den Himmel. Aus Großlautsprechern dröhnt Rockmusik. Auf Französisch und Englisch kommentieren Moderatoren die Leistung des Piloten Cédric Ruet, als wäre es ein sportlicher Wettkampf.

„Rafale“ ist ein Mehrzweckkampfflugzeug, das jagen, bombardieren und aufklären kann. Es kostet an die 80 Millionen Euro. Bislang ist Frankreich der einzige Käufer. Aber beim Hersteller Dassault hofft man, dass sich nach der Luftfahrtschau ausländische Abnehmer finden werden. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben bereits Interesse an 60 „Rafales“ angedeutet. Zwar laufen die Verhandlungen noch, aber das hindert Staatspräsident Nicolas Sarkozy nicht daran, frohe Kommuniqués über ein bevorstehendes Milliardengeschäft zu verkünden.

Hubschrauber gefällig? Oder lieber einen Airbus?

In Le Bourget, wenige Kilometer nordöstlich von Paris, versammeln sich alle zwei Jahre die Größten der Branche. Eine Woche lang machen sie Geschäfte. Oder kündigen sie zumindest an. In diesem Jahr, in dem die Messe ihr 100-jähriges Bestehen feiert, steht die Veranstaltung allerdings im Schatten der Krise. Die weltweiten Passagierzahlen sind binnen zwölf Monaten um 8 Prozent gesunken, die Frachtmenge gar um 17 Prozent. Die Fluggesellschaften stornieren Kaufverträge, streichen Strecken und fusionieren mit der Konkurrenz. Zu allem Übel ist drei Wochen vor Eröffnung des Salons über dem Atlantik ein Airbus der Air France abgestürzt.

Doch weder die Krise noch die Katastrophe hindern die 2.000 Aussteller daran zu zeigen, was sie haben: von der Schraube über die Rakete bis hin zum Nachrichtensatelliten. Unbeeinflusst bleibt auch der tägliche Höhepunkt der Messe: die Flugschauen am Nachmittag. Leichte Maschinen aus den Anfängen der Luftfahrt sind zu sehen, aber auch moderne Militärflugzeuge, Hubschrauber und Passagiermaschinen. Zum Beispiel der Airbus A 380, der für andächtiges Schweigen sorgt.

Drücken Sie den roten Knopf!

Anders als das Kriegsgerät, kreuzt der Passagierflieger, der bis zu 873 Menschen befördern kann, wie in Zeitlupe und leise gleitend über Le Bourget. „Greener, cleaner, quieter, smarter“, steht auf seinem Rumpf. Kommerziell passt der A 380 nicht mehr in die Krise. Aber das Publikum mag ihn; die Fachleute, die an den ersten vier Tagen unter sich bleiben, ebenso wie die Familien, die am Wochenende mit Kindern und Picknickkörben kommen.

An den letzten drei Tagen sind bis zu 50.000 Besucher gleichzeitig auf dem Gelände. Die größte Luftfahrtmesse der Welt ist eine Mischung aus Spiel und Ernst, aus großer Schau und geheimen Absprachen. Während die einen spielen, machen die anderen Geschäfte. Ein besonders schauriges Spiel bietet der „Jaguar A 41“. Besucher, die geduldig genug Schlage gestanden haben, können über eine Metallleiter ins Cockpit des Jagdbombers klettern. Ein Mechaniker der französischen Luftwaffe, die den Jagdbomber inzwischen ausrangiert hat, hockt sich neben die Besucher. Er erklärt den Schleudersitz, die Anzeigen an den Armaturen und die Funktion der einzelnen Knöpfe. Vorn am Knüppel ist die Bedienung der Kanone, daneben der Knopf für die Bomben. Rechts vom Pilotensitz befindet sich ein kleines Deckelchen. Darunter ein roter Knopf – der Knopf für die Atombombe. Die Bedienung des „Jaguar“ ist ein Kinderspiel.

Anderswo geht es ernster zu. Zum Beispiel beim mittelständischen Wiener Unternehmen von Ingenieur Hans-Georg Schiebel. Früher stellte seine Firma in Le Bourget Minensuchgeräte aus. Dieses Mal dreht sich bei ihm alles um den „Comcopter“. Der drei Meter lange, 110 Kilogramm leichte und unbemannte Hubschrauber ist der erste Drohn, der die Genehmigung bekommen hat, über einer Messe aufzusteigen. Schiebel hat 100 Geräte verkauft. Und bereits 80 ausgeliefert. Wer eine bis drei Millionen Euro für den „Comcopter“ ausgibt, verrät der Ingenieur und Firmeneigener nicht. Auf dieser Messe hat er erstmals einen zivilen Kunden gefunden. Dieser brauche die Drohnen, „um seine Pipeline zu überwachen“. Mehr will Schiebel nicht sagen.

Im sogenannten Chalet des französischen Elektronikherstellers Thales staut sich die Hitze. Die oberen Hemdknöpfe sind geöffnet, die Krawattenknoten nach unten geschoben. Über dem Ausstellungsgebäude rast der „Eurofighter“ steile Kurven in den Himmel. Sein Gedonner übertönt das meiste aus dem Vortrag des Thales-Managers. Nur einzelne Worte von Daniel Malka sind verständlich: „Wir freuen uns.“ Dann übernimmt Ahmet Karaman, Chef der türkischen Fluggesellschaft Onur Air, das Mikrofon. Auch seine Freude ist mehr zu sehen als zu hören. Es geht um einen 5-Millionen-Dollar-Vertrag über die Wartung der Flotte von Onur Air, die künftig die Pariser Firma durchführen wird.

Es müssen nicht immer Milliarden sein

Am Eingang des israelischen Pavillons wirft ein Wachmann einen Blick in die Taschen der Besucher. Wenige Schritt weiter können sich diese in einen Simulator setzen, vor dem ein Fadenkreuz smart to the point führt. Auf einem Bildschirm rast ein Fadenkreuz über eine sandig-mediterrane Landschaft. Zielt auf einen Hügel. Ein Dorf. Ein Haus. Ein Fenster. Dann: Feuer! Ein großformatiger Texte neben dem Stand preist die Präzisionswaffen: „Die Spike-Family hat weltweit 17 Kunden. Sie hat 16.000 Raketen verkauft. 1.500 sind abgefeuert worden.“

Anders als Israel ist Marokko zum ersten Mal mit einem eigenen Stand in Le Bourget vertreten. Das Land hat „Technopolen“ eröffnet, seit Unternehmensberater von McKinsey ein Industrialisierungskonzept mit sieben Spezialitäten entwickelt haben – darunter die Luftfahrt. 80 ausländische Luftfahrtunternehmen sind in den vergangenen neun Jahren gekommen. Darunter Franzosen wie EADS, Zodiac und Safran und der US-Amerikaner Boeing. Heute arbeiten 6.700 Menschen in der Luftfahrtindustrie in Marokko. „Kommen Sie nach Marokko, wir haben Technik und Leute“, sagt Industrieminister Ahmed Reda Chami.

Die großen Geschäfte bleiben in Le Bourget dieses Mal aus. Sowohl beim europäischen Airbus als auch beim US-amerikanischen Konkurrenten Boeing kommen die Aufträge nur tröpfelnd herein. Nach dem Rekordjahr 2007 fällt diese Messe für Airbus mit nur 58 Verkäufen und weiteren 62 Vorverträgen geradezu erbärmlich aus. Bei beiden Unternehmen häufen sich zudem Verzögerungen in der Produktion. Aber in Le Bourget bemühen sich Spitzenmanager beider Konzerne die Krise kleinzureden. James McNerney von Boeing und Louis Gallois von EADS, dem Mutterkonzern von Airbus, verweisen auf immer noch gefüllte Auftragsbücher. Und beide hoffen, den Zuschlag für die Ausstattung der US-Luftwaffe mit neuen Tankflugzeugen zu bekommen. Beide konzentrieren sich auf Umstrukturierung ihrer Unternehmen – vor allem mit Stellenstreichungen. Über den Absturz von AF 447 reden die Spitzenmanager nicht. Die EADS-Sprecher beenden das Thema mit dem Hinweis, dass man sich erst äußern werde, wenn die Absturzursachen bekannt seien.

Bei früheren Luftfahrtmessen in Le Bourget gingen Meldungen über Aufträge in einstelliger Millionenhöhe im Milliardenrausch unter. Doch jetzt macht auch Kleinvieh Mist. An diesem Abend sind ein Minister und drei Unternehmenschefs versammelt, um die Vertragsunterschrift für vier Hubschrauber – neun Millionen Euro das Stück – zu feiern. Anschließend halten die vier erwachsenen Männer ein schuhkartongroßes blaues Plastikmodell vor die Kameras. „Der Hubschrauber der Wirtschaftsbelebung“, sagt Patrick Devedjian. Der Politiker ist seit vergangenem Dezember „Wirtschaftsbelebungsminister“. Sein Auftrag ist es, die Wirtschaft aus der Krise zu holen.

Bei RTE hatte er Erfolg. Das Unternehmen, das die Stromleitungen für den Elektrizitätserzeuger EDF wartet, zog einen ursprünglich für nächstes Jahr geplanten Auftrag für vier Hubschrauber „Eurocopter“ vor. „Es ist nur ein kleines Volumen“, sagt der RTE-Manager bei der Vertragsunterschrift entschuldigend. „Ach was“, wimmelt der Manager ab, „wenn jeder unserer 150 Kunden vier Hubschrauber bestellen würde, hätten wir 600 Aufträge. Das ist unsere Jahresproduktion.“

Ein Rundgang durch die Messe in Le Bourget zeigt, dass die zivile und kommerzielle Luftfahrt von der Krise betroffen ist. Dass der militärische Bereich sich besser hält. Und dass es um die Raumfahrt am besten steht.

Sie lebt komplett von öffentlichen Geldern. Und sie plant in Zeiträumen von mehreren Jahrzehnten. In Le Bourget verspricht Staatspräsident Nicolas Sarkozy, dass er sich in Europa für ein neues Trägerraketenprogramm „Ariane 6“ einsetzen werde. Damit ist schon das Thema für die nächste Messe gesetzt.