Mehr als ein Sohn

Zu Golo Mann sind zwei umfangreiche Studien erschienen – aus dem Schatten seines Vaters Thomas Mann tritt er ein wenig mehr heraus

Am Jahrhundertroman der Familie Mann wird weiter geschrieben. Nach den Biografien über die jüngste Tochter Elisabeth und gleich zweien über die Mutter Katia, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden, sind unlängst zwei Bücher zu Leben und Werk Golo Manns erschienen.

Klaus W. Jonas hat in Zusammenarbeit mit Holger S. Stunz eine umfangreiche Bibliografie erstellt, die neben den bekannten Werken auch die über tausend Beiträge Golo Manns in Büchern, Sammelbänden, Zeitungen, Zeitschriften, Magazinen, in Rundfunk und Fernsehen einsichtig verzeichnet und durch mehrere Register gut erschließt. Das gilt auch für die beinahe tausend Einträge zu Golo Mann. Der Band erfährt zudem durch eine persönliche Chronik eine anschauliche Abrundung. Er wird damit zu einem unverzichtbaren Hilfsmittel für alle, die sich zukünftig mit Golo Mann beschäftigen wollen.

Das über 700 Seiten starke Buch „Golo Mann. Außenseiter und Instanz“, das der Schweizer Historiker Urs Bitterli vorgelegt hat, trägt als Untertitel die Gattungsbezeichnung „Biografie“. Bei Lichte besehen handelt es sich jedoch weit eher um eine Werkmonografie, genauer: um die mitunter akribische Darstellung des schriftstellerischen Oeuvres, mit lebensgeschichtlichen Einschaltungen, die mal umfangreicher, mal kursorischer ausfallen. So wird die Kindheit und Jugend Golo Manns – eine für eine Biografie doch wichtige Lebensphase! – auf wenigen Seiten abgehandelt, ohne dabei neue Einsichten zu vermitteln, während allein die Erörterung der beiden bekanntesten Werke des Autors „Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ und „Wallenstein“ über 50 Seiten in Anspruch nehmen. Das Buch, das über weite Strecken in einem gut zugänglichen, leicht helvetisch gefärbtem Deutsch gehalten ist, hätte auch noch mehr gewonnen, wenn eine Reihe stilistischer Gespreiztheiten getilgt worden wären, wie „seine ungetrübter Einsicht entspringende Ablehnung“ oder idiomatische Unbeholfenheiten wie „Er starb nach starkem Alkoholgenuss“.

Davon abgesehen ist die Lektüre von Bitterlis umfangreicher Mono(Bio)grafie durchaus lohnend. Der Verfasser hat neben den bereits veröffentlichten Texten Golo Manns auch dessen kompletten Nachlass durchgearbeitet. Der Leser erfährt außerdem weniger Bekanntes aus Golo Manns Schriftstellerexistenz; so die Hintergründe seiner Fragment gebliebenen Biografie über den Industriellen Krupp oder seine wechselvolle und von der deutschen Vergangenheit mit geprägte Beziehung zu Politikern wie Adenauer, Brandt und Strauss, zu Autoren wie Andersch und Hochhuth sowie zu Horkheimer und Adorno, die Golo Manns Berufung nach Frankfurt mit fragwürdigen Mitteln, aber erfolgreich hintertrieben.

Es ist ein Verdienst Bitterlis, Golo Manns Leben, Wirken und Schreiben nicht allein in Beziehung und Reaktion auf seinen Vater zu verstehen, sondern auch das Eigene und Eigenständige deutlich aufzuzeigen, das unabhängig von den familienbedingten Begünstigungen und Belastungen entstanden ist. War er doch beinahe ein halbes Jahrhundert hindurch ein wacher und reger Kommentator des politischen und kulturellen Lebens seiner einstigen Heimat. Die Meinungsausschläge und Eigenwilligkeiten des Urteils dieses skeptisch-freundlichen Melancholikers haben dessen Freunde wie Gegner mitunter nicht wenig irritiert.

Bedauerlich ist allerdings, dass Bitterli vor psychologischen Erkundungen weitgehend zurückschreckt und auch auf das partnerschaftliche und sexuelle Leben Golo Manns nahezu nicht eingeht; was eine Biografie, die diesen Namen verdient, ohne den Voyeurismus zu bedienen, im Ernst doch tun muss. So betrachtet leisten die beiden informationshaltigen Neuerscheinungen wichtige Vorarbeiten für eine eigentliche Biografie, wie sie auf dieser Grundlage vielleicht anlässlich des 100. Geburtstags von Golo Mann in fünf Jahren erscheinen kann. THOMAS STÖLZEL

Urs Bitterli: „Golo Mann. Instanz und Außenseiter“; Kindler Verlag, Berlin; 708 Seiten; 29,90 EuroKlaus W. Jonas/Holger S. Stunz: „Golo Mann. Leben und Werk“; Chronik und Bibliografie (1929–2003). Harrasowitz-Verlag, Wiesbaden; 344 Seiten; 45 Euro