Schlechtes Beispiel Niederlande

Auf dem Stadtforum NRW diskutierten Integrationsexperten nicht mit, sondern wieder einmal über MigrantInnen: Warum das vielbeschworene niederländische Modell nicht übertragen werden kann

AUS DÜSSELDORFTJITSKE YPMA

Wie in den Niederlanden existieren auch in Deutschland ethnische Kolonien, leiden MigrantInnen unter höherer Arbeitslosigkeit und schlechteren Zukunftschancen. „Stadt und Integration“ lautete deshalb das Thema des zweiten Stadtforums NRW, organisiert vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung. Eingeladen war auch Paul Schnabel, Direktor des niederländischen nationalen Planungsinstituts SCP. Zusammen mit Klaus Peter Strohmeier von der Ruhr-Universität Bochum und Anton Rütten vom nordrhein-westfälischen Sozialministerium verglich er die Integrationsbemühungen der beiden Länder.

Deutschland habe sich nie so stark um MigrantInnen bemüht wie die Niederlande, meint Schnabel. Die Selbstverantwortung habe im Vordergrund gestanden, während viele MarokkanerInnen und TürkInnen in den Niederlanden mit speziellen Programmen versorgt worden seien. So griffen für ungelernte ArbeiterInnen schon in den 80er Jahren Vorruhestandsregelungen, um der hohen Arbeitslosigkeit zu begegnen.

Einzelnen Warnungen zum Trotz kümmerten sich die meisten NiederländerInnen wenig um die Integration ihrer neuen Landsleute: Die zogen in Stadtteile mit zumeist alter Bausubstanz, immer mehr Alteingesessene verließen die Viertel – bis zum Tod des rechtspopulistischen Politikers Pim Fortuyn und dem Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh: Die Niederländer reagierten schockiert. Plötzlich sind die MigrantInnen und speziell der Islam beherrschendes Thema.

Im Blickpunkt stehen jetzt Politiker: Schon lange angedachte Änderungen werden sofort umgesetzt. Unter Premier Jan-Peter Balkenende wurden Sprachprüfungen obligatorisch, selbst für MigrantInnen, die schon seit Jahrzehnten in den Niederlanden leben. Auch die niederländische Geschichte und Grundbegriffe des politischen Systems müssen sie beherrschen – und dazu auf eigene Kosten Kurse belegen.

Selbst EhepartnerInnen von BürgerInnen mit Migrationshintergrund dürfen nur einreisen, wenn sie älter als 21 sind und das Einkommen des Einladenden über 1.500 Euro liegt. Im politischen Bereich werden MigrantInnen dagegen besonders umworben. Alle, die fünf Jahre oder länger in den Niederlanden wohnen, besitzen das passive Wahlrecht, können in politische Ämter gewählt werden. So genannte „schwarze Schulen“, die von vielen Kindern mit Migrationshintergrund besucht werden, bekommen mehr Geld: Viele der SchülerInnen sprechen kaum niederländisch, was durch den Einsatz von zusätzlichen LehrerInnen ausgeglichen werden soll.

Nordrhein-Westfalen solle diese positiven Ansätze übernehmen, so die Meinung der deutschen Teilnehmer des Forums. Bisher sei viel analysiert, jedoch wenig umgesetzt worden – dabei seien Spreche und politische Teilhabe wichtigste Voraussetzung einer gelungenen Integration. Doch ausgerechnet der Niederländer Schnabel relativierte das niederländische Beispiel: „Wir wissen noch lange nicht, welchen Effekt diese Maßnahmen haben werden. Das dauert Jahre.“

Schnabel dürfte Recht behalten: Die Situation ist kaum zu vergleichen. Während die Niederländer eine richtiggehende „Ghettobildung“ mit den Symptomen einer hohen Arbeitslosigkeit und Kriminalität beklagen, verweisen die Deutschen auf das Potenzial „ethnischer Kolonien“ wie etwa in Duisburg-Marxloh. „Da wird nicht nur gewohnt. Es gibt auch Läden, Reisebüros, Gäste von außerhalb. Menschen gehen und kommen“, so Anton Rütten vom NRW-Sozialministerium.

Selbst die Sprache der Niederländer scheint extremer: „Islam ist ein Problem“, so Schnabels einfache Beschreibung. „Was meinen sie damit“, fragte die Forums-Moderatorin und WDR-Journalistin Daniela Milutin sofort nach. „Der Islam ist mit dem christlichen Glauben nicht vergleichbar. Er ist eine Lebensform mit vielen Eigenschaften, die nicht mit der Demokratie zu vereinen sind“, beharrte Schnabel – im Publikum waren leider kaum Muslime. Bahri Karakus, Integrationskoordinator der Stadt Mülheim, protestierte: Viel zu pauschal sei der Standpunkt des Niederländers Schnabel. „Der Islam existiert nicht, nur viele unterschiedliche Formen.“