Lübeck: herzig

An der Trave steht die geografische Lage im Mittelpunkt – und die Jury darf über Bauklötzchen-Sticker staunen

Micha schaut gebannt auf den kleinen Turm aus Papier auf der Holztheke. Noch weiß der Vierjährige nicht, welchen Schatz ihm der große blonde Junge, der Krischa heißt und Prospekte verteilt, gleich überreichen wird. „Möchtest du einen Aufkleber haben?“ fragt der ihn. Micha nickt.

Schüchtern greift er zu. Gelbe, rote, blaue und grüne Quadrate sind auf dem Aufkleber wie Bauklötze zu zwei Türmen gestapelt, verbunden durch eine Brücke: das Holstentor, Wahrzeichen der Stadt, Teil des Unesco-Welterbes. „Hansestadt Lübeck. Kulturhauptstadt 2010?“ ist noch zu lesen. Kaum hörbar sagt Micha: „Der ist schön. Der kommt an mein Bett.“

Stolz zeigt er den Schatz seiner Mutter, die an der Kasse des Marionettentheaters steht, um zwei Karten für die Premiere der „Prinzessin auf der Erbse“ zu bekommen. Eigentlich ist die Vorstellung an diesem Sonntag ausverkauft. Krischa, der am Morgen schon bei einem Sinfoniekonzert für Lübeck geworben hat, gibt Michas Mutter eines der schmalen Heftchen. „Ich habe von der Aktion bisher nichts mitbekommen,“ bekennt die, aber sie komme ja auch nicht von hier. Dabei sollen sich die Lübecker und die Menschen in der Region mit der Bewerbung identifizieren – hofft Projektleiter Holger Walter. Doch sein Werbeetat liegt bei gerade einmal 350.000 Euro. Nicht mal ein Dutzend Plakate begegnen dem Besucher auf dem Weg vom Bahnhof zum Buddenbrookhaus. Die 10.000 zusätzlichen Flyer, die in den vier Wochen vor dem Besuch der Jury verteilt werden, lesen nur wenige.

Walter und seine Mitarbeiter müssen viel erklären: „Kernpunkt der Bewerbung ist die geographische Lage. Lübeck ist das Bindeglied zwischen dem Ostseeraum und dem Kontinent. Alle Anrainerstaaten können sich in Lübeck 2010 mit ihrer eigenen Kultur präsentieren. Wir wollen zeigen, dass der Norden Europas eine kulturelle Identität hat.“ Wenigstens das Logo kennen viele, schließlich schmückte es als riesiges Transparent das Holstentor – bis der Denkmalschutz es abhängen ließ. Doch kaum einer kann mit den Bauklötzen Konkretes verbinden.

„Man hört immer wieder was, liest mal was in der Zeitung,“ sagt Lars Hilpert. Er sitzt an der Kasse des Marionettentheaters. Einige der Aufkleber hat der Puppenspieler in die rechte Tasche seiner Jeansjacke gesteckt, mit der er jetzt wieder den Bürostuhl auspolstert. Er wird sie bei Biobauer Benett in Israelsdorf auslegen: „Damit die Leute mal was mitbekommen.“

Im ersten Stock lauschen Micha und die anderen Kinder den Schreien der Erbsenprinzessin. Der blonde Krischa hat die Flyer einpackt. Zumindest die Kleinen haben wieder eifrig zugegriffen. „Vielleicht hat Lübeck zu wenig getan,“ sagt Krischa noch. Christina Stefanescu