: Poesie der Technologie
Als Industrie und Handel noch geholfen haben und mit vielen Dollarmilliarden belebt werden mussten: Propagandafilme zum Marshallplan auf der Berlinale
Zum zweiten Mal präsentierte die Berlinale Filme, mit denen Anfang der Fünfziger in Westeuropa für den Marshallplan Reklame gemacht wurde, jenes milliardendollarschwere Wiederaufbauprogramm, dessen außerordentliche Weisheit und Weitsicht Außenminister Fischer bei der Eröffnung der Reihe im Zeughaus nicht genug loben konnte. Tatsächlich gehört ja die Forderung nach einem Marshallplan zum Standardrepertoire, wenn Krieg eine Region ruiniert hat.
Die erste Staffel dieser Propagandafilme entführte in eine ferne Zeit. Wie der Fluss Niger in Afrika durch einen Staudamm dazu gebracht wurde, seine ausgetrockneten Seitenarme wieder zu bewässern und damit große Flächen für die Landwirtschaft fruchtbar zu machen, das feierte ein Film mit heroischen Bildern. Keine Scheu vor Maschinen, die Dschungel roden und Erdmassen verschieben: Poesie strahlt nicht der Mammutbaum aus, wie er die Ebene grandios überragt, Poesie eignet der Technologie, die den Baum fällt und die wirtschaftliche Kultivierung der Gegend erleichtert. Marshallplan-Gelder erlaubten Frankreich, den Bau dieses Damms in seiner afrikanischen Kolonie zu vollenden. Marshallplan-Gelder erlaubten es Griechenland, den Kanal von Korinth wieder zu eröffnen, den die deutsche Wehrmacht am Ende des Krieges durch Sprengungen blockiert hatte; die freie Schifffahrt, erzählt der Film, ist für Griechenland lebenswichtig. Marshallplan-Gelder fördern den ökonomischen Austausch zwischen den Dänemark, Schweden, Norwegen, viel strömendes Wasser ist zu sehen sowie große Schiffe, mit denen man in alle Welt gelangt, um Handel und Wandel zu beleben. Ländergrenzen und Zollschranken behindern die Marshallplan-Gelder in ihrer segensreichen Wirkung, erzählt ebenso launig wie verdruckst der deutsche Film. Er verliert kein Wort über den deutschen Krieg, der diesen Wiederaufbau nötig machte. Der Krieg ist für die Filme aus Afrika, Sardinien, Griechenland, Skandinavien einedunkle Folie, von der sich die Poesie der neuen Arbeit, der neuen Industrie, des neuen Handels leuchtend abhebt. Diese Anstrengungen sind die wahrhaft heroischen, sagen die Bilder; statt der Kriegsanstrengungen.
Als Propaganda verfahren die Filme ungemein diskret. Dass dauernd Marshallplan-Gelder aus den USA im Spiel sind, rücken sie niemals lobend ins Zentrum. Niemals treten Amerikaner als Helden auf; bei der Malariavernichtung auf Sardinien sehen wir einen amerikanischen Wissenschaftler mitwirken, den Schnurrbart und Haarschnitt der Zeit gut erkennbar machen. Stets haben einheimische Teams die Filme realisiert. Als amerikanisch imponiert, wie die Filme Industrie und Handel, die Ökonomie als Träger des Elan vital, des Willens zum Leben feiern.MICHAEL RUTSCHKY
Noch heute, 17 Uhr, Zeughauskino
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen