„Reconquista Ost ist aberwitzig“

Ossis sind nicht die ewig Zuspätgekommenen, meint PDS-Kultursenator Thomas Flierl. Und: Berlin braucht sich nicht vor den kulturellen Übernahmen des Bundes zu fürchten – sie sind eine Chance

INTERVIEW TINA HÜTTL
, R. OLF LAUTENSCHLÄGER
, ADRIENNE WOLTERSDORF

taz: Herr Flierl, der Bundestag hat der Übernahme der Akademie der Künste durch den Bund zugestimmt. Stellt Sie das zufrieden?

Thomas Flierl: Neue kulturelle Aufgaben des Bundes in Berlin waren zunächst immer umstritten. Die Absprache zwischen Staatsministerin Weiss und mir war richtig und wird Bestand haben – wegen der preußischen Herkunft der Akademie und weil der Bund in der Hauptstadt einen Ort für den europäischen Kulturdialog braucht.

Viele sehen es als ein Ende der Selbstbestimmung für Berliner Kulturinstitutionen. Sehen Sie da dennoch eine inhaltliche Weiterentwicklung?

Es geht um Inhalte und nicht um ein Zurückträumen in Zustände, wo mehr als 60 Prozent des Berliner Landeshaushalts vom Bund direkt finanziert wurden. Das war keine Selbständigkeit. Es war ausgehaltene Selbstständigkeit mit alliierter Kontrolle. Nachdem der Gesamtstaat seine direkte Verantwortung für die Stadt aufgegeben hat und damit einen Teil der Berliner Haushaltskrise mitverantwortet, müssen wir die kulturelle Aufgabenteilung zwischen Bund und Berlin neu aushandeln. Eine trotz Finanzkrise selbstbewusste Stadt tritt mit einer sich profilierenden Bundeskulturpolitik in den Dialog und trifft Vereinbarungen. Das halte ich für richtig.

Trotz „Inhalten“ sieht es nach Ausverkauf aus – wo ist da ein Konzept?

Es gibt klare Kriterien: Auf der einen Seite sind es Institutionen von gesamtstaatlichem Interesse. Darunter fällt etwa der Umgang mit der Gedenkstättenlandschaft. Auf der anderen Seite geht es um Kulturaustausch und kulturellen Dialog in der Hauptstadt. Da ist etwa die Übernahme der Festspiele GmbH als internationale und repräsentative Einrichtung des hauptstädtischen Kulturlebens einzuordnen.

Welche Institutionen muss der Bund noch übernehmen?

Der Bund hat die Neuordnung der NS-Gedenkstätten in einer Bundesstiftung angekündigt. Das ist vernünftig. Wir haben aber auch noch erhebliche Defizite bei den Gedenkstätten der DDR-Zeit. Die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße kann nicht von Berlin allein erschlossen und getragen werden. Das Erbe eines zentralistischen Geheimdienstes ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Die Veränderung der Zuständigkeit für die Birthler-Behörde ist ebenfalls Teil der sich abzeichnenden Veränderungen. So können Anschlusspunkte vorbereitet werden für den gesamten Geschichtskomplex nach 1945. Stichwort Bernauer Straße, das Auffanglager Marienfelde und Hohenschönhausen. Das wird nur mit größerem Bundesengagement zu bewältigen sein.

Ist Ihr Vertrauen in die Zentralmacht Ihrer Ost-Biografie geschuldet?

(lacht) Hier treffen sicher unterschiedliche historische Erfahrungen zusammen. Natürlich habe ich ein kritisches Bewusstsein gegenüber einem Wettbewerbsföderalismus, der sich als Kleinstaaterei darstellt und nötiges gesamtstaatliches Bewusstsein gering schätzt. Aber ich habe auch die Erfahrung eines unkontrollierten Zentralismus. Ich glaube, dass ich das gut ausgleichen kann.

Wenn die „Leuchttürme“ zum Bund gehen – womit kompensiert das Berlin?

Für uns stellt sich die Frage nach den städtischen Aufgaben in der Metropole. Die Defizite Berliner Kulturentwicklung seit den vergangenen zehn Jahren liegen in den Bereichen der Bibliotheken, der dezentralen bezirklichen Kulturarbeit oder der städtischen Museumslandschaft. Da kommt dann der unberechtigte Reflex, das sei doch provinziell.

Soll dann etwa das Heimatmuseum Neukölln Schwerpunkt „städtischer“ Kulturpolitik sein?

Die Ebene ist die Stiftung Stadtmuseum oder die Zukunft des Systems öffentlicher Bibliotheken in Berlin. Der große Erfolg dieser Legislaturperiode war die Eröffnung der Berlinischen Galerie im endlich eigenen Haus.

Ist nicht auch der konstruktive Umgang mit der Kultur der hier lebenden Migranten verschlafen worden?

Stimmt. Das gehört zum Desiderat einer Kulturpolitik, die in dem neuen Hauptstadtdasein untergegangen ist. Und es ist ein Beispiel, wie metropolitane städtische Aufgaben unberücksichtigt blieben. Diese Lücke muss man verdeutlichen und schließlich ausfüllen. Dafür erst einmal Verständnis zu entwickeln, für die lokalen Akteure, Kulturämter oder den Begriff von sozialer Stadtentwicklung, die kulturpolitisch begleitet werden muss, ist jetzt unsere Aufgabe.

Sie sagen, alles was Sie tun, habe ein Konzept. Aber mit einem Konzept des Mauergedenkens befassen Sie sich erst, seitdem das private Mauermuseum sein Spektakel in der Friedrichstraße inszeniert.

Vieles entsteht zum Glück spontan. Zunächst erschien das nur als ein genehmigungsrechtliches Problem des Bezirks. Ich habe dann die Initiative ergriffen und die Arbeitsgruppe gebildet, die mit anderen Senatsverwaltungen, Bund und Bezirk ein Konzept ausarbeiten soll, wie mit den dezentralen Orten des Gedenkens an die Mauer umgegangen werden kann. Mitte April werden wir ein Kolloquium abhalten, wo die Vorschläge diskutiert werden.

Da sind Sie aber mehr ein Getriebener als ein Antreiber.

Ich reagiere zunächst einmal auf politische Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit und darauf, dass die Initiative von Frau Hildebrandt auch kulturtouristische Defizite aufzeigt. Mit dem nun begonnenen Prozess hoffe ich Lösungen zu erarbeiten, die für eine überschaubare Zeit auch halten.

Heißt das, dass das bisherige dezentrale Mauer-Gedenkkonzept gescheitert ist?

Nein, ich glaube, dass es fortgesetzt und gestärkt werden soll. Es geht vor allem darum, die Orte in ihrer jeweiligen Eigenart stärker zu profilieren. Gestärkt werden muss auch die Vernetzung der Orte untereinander und ihre Vermittlung in die Öffentlichkeit. Am Checkpoint Charlie muss man wissen, dass es eine Bernauer Straße gibt, und umgekehrt.

Seit Ihrem Besetzungspoker ist die öffentliche Stimmung gegen Sie gekippt. Was haben Sie aus den Fehlern gelernt?

Dass es bei der Beratung durch Journalisten eine Grauzone gibt, die bei der Suche nach dem besten Kandidaten für die Opernstiftung überschritten wurde. Das habe ich selbstkritisch eingeräumt.

Ist ein Alleingang des Kultursenator Flierl also in Zukunft auszuschließen?

Nein. Die politische Verantwortung für Personalentscheidungen werde ich auch in Zukunft allein tragen. Natürlich berate ich mich dabei mit meinen Mitarbeitern. Meine angebliche Beratungsresistenz sehe ich eher als eine Resistenz gegen Lobbyismus und Mainstream.

Gibt es bei den Berliner Kulturinstitutionen tatsächlich einen Nachholbedarf von Kandidaten aus dem Osten?

Leistungspositionen in Berlin sind ungleich verteilt. Das verweist auf ein Problem. Aber die Vorstellung einer „Reconquista Ost“ ist völlig aberwitzig. Mein Politikverständnis war – gerade wegen der Transformationserfahrung – von Anfang an gesamtstädtisch ausgerichtet. Auch deshalb hatte die Deutsche Oper in mir mit der Opernstiftung den verlässlichsten Anwalt. Aber es kann auch nicht sein, dass es Ossis schwerer haben, nur weil es zufällig einen PDS-Senator gibt.

Nutzt Berlins Kulturbetrieb die einstige Teilung der Stadt – wenn schon nicht personell, doch wenigstens inhaltlich – kreativ genug?

Berlin hat ein kreatives Potenzial, das die gebrochenen Ost-West-Traditionen verarbeiten kann. Ich will das produktiv machen, bevor es museal wird. Natürlich sind Ossis nicht die besseren Menschen und nicht die „edlen Wilden“, aber auch nicht die lediglich Zuspätgekommenen.