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: Ein kollektiver Totentempel namens Westfalenstadion

Dringender Appell an die Fans des BVB, doch bitte umgehend ihr Gejammer einzustellen und endlich wieder ins wahre Leben zurückzukehren

Das Frohlocken währte nur kurz. Kaum war nach Einlenken der letzten Gläubiger (Gläubigen?) die wirtschaftliche Insolvenz bei Borussia Dortmund vorläufig abgewendet, da kamen skrupellose Bayern daher und kümmerten sich um die sportliche. 0:5 lautete die Bilanz, diesmal völlig unverfälscht. Und schon litten sie wieder, die Borussen-Fans, so wie sie in letzter Zeit meistens litten: Unter dem bösen Ex-Boss Niebaum. Unter dem Wertverfall der Aktie, die sie sich einst stolz an die Wand gehängt hatten. Unter den „Millionarios“ auf dem Platz, deren Herz nicht schwarz-gelb schlug, sondern bloß schwarz. Eine riesige Trauergemeinde, die sich alle zwei Wochen in ihrem kollektiven Totentempel Westfalenstadion versammelt und gegenseitig ihr Leid klagt.

Mitleid ist indes völlig unangebracht. Den BVB-Fans ging es nämlich viel zu lange viel zu gut. So was verdirbt. Fan eines Fußballvereins zu sein, heißt schließlich in erster Linie: Leiden! Wenige Momente des Glücks sind eingebettet in ein Meer des Scheiterns. Das macht diese Momente ja so wertvoll. Sogar die als Schönwettertifosi berüchtigten Anhänger des FC Bayern leiden, wenn auch nicht am Samstag.

Das größte Gift für das Gemüt des Fans ist ohnehin der Erfolg. Eine Saison grandioser Fußball seiner Mannschaft reicht, und er ist auf Jahre hinaus für das wirkliche Leben versaut. Nirgends wurden Spieler, Trainer und Verein so geschmäht wie in der Saison, die in Bochum auf das Erreichen des Uefa-Cups folgte, in Köln auf den letzten Aufstieg, in Schalke nach dem Uefa-Cup-Gewinn, in Leverkusen nach dem Champions-League-Finale. Schlimmer ist nur noch Erfolg, der über mehrere Jahre anhält und so den trügerischen Anschein der Ewigkeit bekommt. Womit wir wieder bei Borussia Dortmund wären.

Der BVB hatte unverschämtes Glück. Das Uefa-Cup-Finale erreichte er exakt, als es dort am meisten zu verdienen gab. 25 Millionen Mark flossen dadurch 1993 in die Kassen des BVB. Und die Millionen mehrten sich, da die Uefa in jenen Jahren des Booms auch ihren Champions-League-Geldschrank weit öffnen musste, um eine Konkurrenz-Europaliga zu verhindern.

Logisch, dass die Sache den Verantwortlichen umgehend zu Kopf stieg. Sie reagierten im Stile eines Gebrauchtwagenhändlers, der plötzlich General Motors geerbt hat, und begannen, aus vollen Händen zu prassen. Die Fans küssten Niebaum und Co. dafür die Füße und ihr heutiger Zorn auf die alten Machthaber ist ebenso un- wie selbstgerecht. Anstatt in Selbstmitleid zu versinken, sollten sie dankbar an die fetten Jahre denken und tapfer die mageren in Kauf nehmen. Irgendwann wird schließlich auch der FC Bayern mal wieder 0:5 verlieren, wenn auch gewiss nicht gegen Borussia Dortmund.

MATTI LIESKE