berliner szenen Traumpost (8)

Schreien und Flüsse

Im Frühjahr paradigmatisch in der Krise: Stellvertretend für Millionen andere auch hat der Träumer berufliche Schwierigkeiten und blickt als „freier Autor“ in eine ungewisse Zukunft. Dafür muss er sich neuerdings in seinen Träumen auf das Übelste beschimpfen und anschreien lassen. Kürzlich sogar zwei Nächte hintereinander im Doppelpack:

In der ersten Folge sitze ich mit Jeff Tweedy am Fluss. Ein schöner Sommernachmittag, und wir führen zum Glück kein Interview, denn Tweedy und ich hassen Interviews. Es ist ein normales, nicht allzu privates Gespräch. Irgendwann geht Tweedy runter zum Wasser, während ich sitzen bleibe und weiterrede. Aber er kann mich nicht verstehen und wird sauer. Dann schreit er mich zornig an, ob es mir was ausmachte, deutlicher zu reden. Noch im Erwachen öffne ich erschrocken den Mund, um möglichst deutlich zu antworten.

In der zweiten Folge eine Nacht später kommen meine Nachbarn aus dem Urlaub zurück. Ich habe dem Freund versprochen, mich um ihre Post und die Blumen zu kümmern. Offenbar haben einige Blumen diese Fürsorge jedoch nicht überstanden (ob sie ersoffen oder verdurstet sind, lässt sich am Morgen nicht mehr rekapitulieren). Jedenfalls redet jetzt Katja, die Freundin des Freundes, ein ernstes Wort mit mir: Wir sitzen uns in eleganten hohen Sesseln in ihrer Wohnung gegenüber. Plötzlich schreit sie mich aus Leibeskräften an: Ob ich eigentlich eine Ahnung hätte, wie teuer und selten die Blumen gewesen seien, die ich natürlich ersetzen müsste. Und ob ich eigentlich glaubte, ich könnte mich hier so einfach aus dem Staub machen und aus der Nachbarschaft wegziehen.

Gute Idee, denkt der Träumer erleichtert. Im Aufwachen davongekommen! ANDREAS MERKEL