ausgehen und rumstehen
: Anstrengend: Pendeln in Zeiten der Gentrifizierung

Man kann es einfach nicht anders sagen: Das Feuilleton ist, wie vieles hierzulande, ein Dorf. Wo auch immer ich in den vergangenen zwei Wochen rumgeblättert und schließlich mit verbundenen Augen hineingepiekst habe, ich konnte sicher sein, pro Medium auf wenigstens eine Lästerei über das angeblich so minderwertige bunte Berlinale-Wasser zu treffen. Einer klagte über roten Urin, viele über Übelkeit; einer mochte die Wellness-Note nicht, und jemand anderes wollte mit Alkohol mischen.

Spaß scheint sie aber trotzdem gemacht zu haben, die gegenüber dem vergangenen Jahr noch gesteigerte Sortenvielfalt. In meiner Fantasie sahen die schaudernden Journalisten vor den Kühlschränken mit den Umsonstgetränken jedenfalls sehr lustig aus. Oder waren die vielen schlechten Filme schuld an dieser Fokussierung auf Mineralwasser?

Ich weiß es nicht, ich war nämlich gar nicht da. Zwei Geschäftsreisen in zwei Berlinale-Wochen hatten meine zu Hause noch mit feinem Bleistift gezeichneten Stundenpläne am Ende zu Butterbrotpapier gemacht. Und so wartete ich am Freitag an einem Münchner Busbahnhof auf meine Mitfahrgelegenheit, eine „in diesen Zeiten“ durchaus standesgemäße Beförderung für Geschäftsreisende, wie ich mir habe sagen lassen.

Am Samstag bringe ich dann zwei „Law and Order“-Souvenirs mit nach Berlin, wie man sie wohl nur in Bayern bekommt – und dazu auch noch geschenkt. „Sie hat keine Selbstbeherrschung!“ steht zum einen unter dem Zeugnis, das mir ein verstörter Teenager unter die Nase hält, der nicht in den Bus nach Hause steigen will und nun jemanden zum Reden braucht. Die Drogenkontrolle später auf der Autobahn, offensichtlich motiviert durch die auffällige Farbe und den Gestank unseres mit Rapsöl betriebenen Wagens, sitze ich danach auf einer Arschbacke ab, wie man so sagt. „Rauchen Sie?“ und „Nehmen Sie Drogen oder hatten Sie jemals etwas mit Drogen zu tun?“, lauten unter anderem die Fangfragen der Ermittler. Wir haben Glück und können entkommen.

Endlich daheim, bin ich eingeladen in die Villa eines Wissenschaftlers in der Schliemannstraße. Trotz seines relativ jungen Alters scheint er mittlerweile sehr wohlhabend zu sein: Den Mittelpunkt der leinengedeckten Tafel bildet ein riesiger silberner Kandelaber, der zur Überholung erst eigens nach Westfalen transportiert wurde, „weil man dort einfach die besten Galvaniker findet“, wie der Gastgeber erklärt.

Nachdem Kinder und Eltern ins Bett gebracht sind, mache ich mich mal wieder auf nach Kreuzberg, wie so oft in letzter Zeit. Es wird ja nicht einfacher für die an einem unvereinnahmten Nachtleben interessierten Bewohnerinnen und Bewohner der Berliner Ostbezirke: Je mehr Arme der unsympathischen Krake Gentrifizierung wachsen, desto mühsamer, also weiter und teurer werden die Wege zum Vergnügen. Ein Teufelskreis, denn wer sich das noch leisten will, sollte schleunigst zusehen, endlich verdienender Teil der Verpoppung „authentischer“ Nachbarschaften zu werden.

Ein schöner und zudem doch sehr authentischer Ort wartet am Kottbusser Tor auf mich. Aber bitte rechts neben der Kaiser's-Filiale die Betontreppe hochgehen, links ist zwar auch was los, da hat es mir allerdings nicht so gut gefallen.

Rechts ist es sehr weitläufig und dunkel, viele leere Räume, die sich um eine Halle gruppieren, deren Fenster alle nach außen gestülpt sind. Es gibt eine gefährlich riechende Snackbar der Köche „Fuchs und Gans“, und mittendrin spielen Swearing at Motorists, eine sehr gute Band aus Kanada, die angeblich im selben Augenblick einen Auftritt in Austin/Texas absolviert. Zauberei. LORRAINE HAIST