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jazzkolumneDas neue Birdland

Während die New Yorker Jazzläden schließen, hat sich in Wien der hippste Club Europas etabliert

Dieses mulmige Gefühl, dass etwas zu Ende geht, was man liebt – in Manhattan gibt es das gerade gratis. Das Fez unter dem Time Café im Village, wo die Mingus Big Band seit 1992 fast jeden Donnerstagabend aufgetreten ist, schließt nächsten Monat. Das an der Lower East Side gelegene Tonic, Domizil von John Zorn und der einstigen Knitting-Factory-Szene, wird sich womöglich auch nicht halten können. Die Miete hat sich seit 1998 verdoppelt, die Versicherung seit 9/11 verdreifacht. 100.000 Dollar braucht das Tonic, um weiterzumachen – ob die Benefits mit Yoko Ono und Co es bringen werden, ist ungewiss. Da die Immobilienpreise explodieren, müssen die Clubs schließen. Die New Yorker Wochenzeitung Village Voice zieht in ihrer aktuellen Ausgabe düstere Bilanz – das Avant-Flair von Village, SoHo und Lower East Side ist dahin. Apartment- und Büroklötze entstehen an Ecken, wo bis vor kurzem bestenfalls Undergroundläden im Selbstausbeutungsmodus funktionierten – die Künstler verlassen Manhattan, die Lofts sind unbezahlbar geworden. Während am New Yorker Lincoln Center in Midtown gerade ein 128 Millionen Dollar teurer Jazzkonzertpalast eröffnete, schließen die Avantläden downtown. Das europäische Modell der Kultursubventionierung – jetzt würde man es sich hierher wünschen.

Doch auch Paris, London und Berlin machen jazzclubbezogen betrachtet nicht sehr viel her. Man spart halt so vor sich hin. Die große Ausnahme ist derzeit Wien. Dort lässt man sich den Jazz tatsächlich etwas kosten. Mit über 720.000 Euro Starthilfe wurde letzten Sommer der neue im Wiener Hilton gelegene Jazzclub Birdland von der Stadt Wien gefördert. Die beachtlich hohe Anschubfinanzierung für den 250 Besucher fassenden Club, dem der Jazzmusiker Joe Zawinul vorsteht, war zwar nicht unumstritten, doch auch das Porgy & Bess, Wiens größter Jazzclub, hatte vor einigen Jahren eine ähnliche Summe erhalten und wird zudem jährlich mit 70.000 Euro subventioniert. Und mittlerweile erhält auch das kleinere Jazzland von der Stadt Wien 20.000 Euro pro Jahr. Mit dem Birdland zusammen bieten allein die drei im Wiener Stadtzentrum gelegenen Jazzclubs etwa 1.000 Besuchern Platz, hinzu kommen noch über 80 weitere Locations, die den Wienern gelegentlich Live-Jazz anbieten.

Der wichtigste österreichische Jazzpreis ist nach dem Saxophonisten Hans Koller benannt, der vor gut einem Jahr 82-jährig in Wien verstarb. Anders als Joe Zawinul und später Michael Mantler widerstand Koller einst den Reizen Amerikas und wurde zu einem Protagonisten des europäischen Jazz. Mit diesem Geldpreis wird seit 1996 vor allem die österreichische Jazzszene ausgezeichnet, für verschiedene Kategorien standen im vergangenen Jahr insgesamt fast 50.000 Euro an Preisgeldern zur Verfügung. Als CD des Jahres wurde im Dezember nun die Duo-Einspielung „Day Dream“ (Universal) von Herwig Gradischnig, Baritonsaxofon, und Oliver Kent, Piano, ausgezeichnet.

Meistens steckt, wenn private und öffentliche Gelder in den Wiener Jazz fließen, der gebürtige Schweizer Mathias Rüegg dahinter, der Leiter und Organisator des Vienna Art Orchestra. Er gewann die Bank Austria als Großsponsor, und er kennt die Entscheidungsträger in der Stadt- und Bundespolitik. Die geschickte Einbindung verschiedener Geldgeber garantiere noch am ehesten eine gewisse Absicherung des Initiativen. Und dennoch sei es ein „permanenter Kampf“, sagt Rüegg, Jahrgang 1952.

Die jüngste unter den aktuellen Koller-Preisträgern ist die 24-jährige Saxophonistin Viola Falb, die zurzeit in Berlin studiert, sie erhielt diesmal den Publikumspreis. Sie nennt John Coltrane, Drum ’n’ Bass und Heavy Metal als die Quellen ihrer Inspiration– ihre Generation, so sagt sie, wolle keinen Oldstyle Jazz, sondern „clever konstruierte Kombinationen“ mit viel Groove, Kommunikation und Gefühl.

Als Newcomer des Jahres wurde der 29-jährige Trompeter Lorenz Raab ausgezeichnet, der auch von einer „neuen Mischung“ berichtet und davon, dass die junge Wiener Szene extrem vielseitig sei. Die DrechslerStegerTanschekTrio-CD „The Monk in all of us“ (cracked anegg records) erschienen, eine herausragende Thelonious-Monk-Hommage ohne Klavier, auf der Raab bei den meisten Stücken als Gast mitwirkt. „Neu“ ist überhaupt so ein Wort, das man in Wien derzeit häufig benutzt. In New York sei er zwar noch nicht gewesen, sagt Raab, aber in Wien und besonders im Porgy & Bess sei nun halt mal fast alles möglich. CHRISTIAN BROECKING

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