Zwischen Gedenken und Geschichtsklitterung

In Dortmund eskaliert der Streit um eine Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Opferverbände werfen dem von der Stadt eingeladenen Redner Joachim Gauck vor, den Naziterror zu verharmlosen

DORTMUND taz ■ Ist der ehemalige Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, Joachim Gauck, ein „Geschichtsrevisionist“, der die Verbrechen der Nationalsozialisten verharmlost? Diesen Vorwurf erheben die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und das Internationale Rombergparkkomitee, das sich seit Jahren für die Aufarbeitung der Naziverbrechen in Dortmund einsetzt.

Dortmunds Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer (SPD) hatte Gauck eingeladen, bei der Gedenkveranstaltung am Karfreitag in der Dortmunder Bittermark eine Rede zu halten. Dort wird alljährlich zu Ostern der mehr als 300 Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft gedacht, die im März 1945, in den letzten Kriegstagen, von der Gestapo hingerichtet und verscharrt worden waren – die meisten von ihnen Widerstandskämpfer und Zwangsarbeiter.

Dass nun Joachim Gauck die Ansprache halten soll, ist für die Opferverbände ein Affront. Es hätte keine Person ausgewählt werden sollen, die „nicht den Faschismus, sondern den Versuch zur Schaffung von staatlichem Sozialismus als die größere Katastrophe ansieht“, schreibt Gisa Marschefski vom Rombergparkkomitee in einem Brief an den Dortmunder OB Langemeyer. Die Verbände werfen dem früheren DDR-Bürgerrechtler und späteren Leiter der so genannten Gauck-Behörde vor, die Verbrechen des Kommunismus mit dem Holocaust gleichzusetzen und diesen dadurch zu relativieren.

Die Kritiker berufen sich unter anderem auf einen Aufsatz, den Gauck im 1998 erschienenen „Schwarzbuch Kommunismus“ veröffentlicht hat. Das Buch löste vor allem in Frankreich und Deutschland heftige Diskussionen aus über die Frage, ob damit der braune Terror dem roten gleichgestellt und verharmlost werde.

Als Antwort auf die Gauck-Gegner hat sich in Dortmund jedoch eine Gegenbewegung gegründet, die die Vorwürfe gegen ihn zurück weist. „Wir verwehren uns gegen die maßlosen Unterstellungen, Joachim Gauck verharmlose die Nazis“, erklären die Unterzeichner einer Stellungnahme, die vom Dortmunder Pfarrer Friedrich Stiller sowie dem Journalisten Rainer Zunder initiiert worden ist. Die Befürworter des Gauck-Auftritts werfen den Gegnern darin vor, „eine die stalinistischen Verbrechen verharmlosende Geschichtssicht zu propagieren“. Gauck, der heute Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ ist, habe die beiden Systeme nicht gleichgesetzt, sondern lediglich „verglichen“. Die „historische Einmaligkeit“ des nationalsozialistischen Völkermords werde nicht in Frage gestellt.

Gauck selbst zeigt sich von der Diskussion um seine Person unbeeindruckt. „Es gefällt der unaufgeklärten Linken nicht, wenn man auch den Kommunismus als Diktatur kritisiert“, sagte Gauck im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten. Einen Grund, seine Teilnahme bei der Gedenkveranstaltung abzusagen, sieht Gauck nicht. Er werde „definitiv“ teilnehmen, wie sein Büro gestern noch einmal erklärte.

Auch für die Dortmunder Stadtverwaltung scheint die Auseinandersetzung um die Gedenkveranstaltung erledigt. OB Langemeyer hat sich zwar bereit erklärt, bei einer Sitzung Mitte März das Gespräch mit den Kritikern zu suchen. An den Plänen für Karfreitag hält er jedoch fest.

Gisa Marschefski, deren Vater zu den von der Gestapo Hingerichteten gehört und die sich seit mehr als dreißig Jahren für das Gedenken an die Opfer engagiert, hat dafür kein Verständnis: „Die Menschen, die in der Bittermark begraben liegen, werden sich im Grabe rumdrehen.“ULLA JASPER