Der Supersaurier lernt gehen

Kein Museumssaurier der Welt ist größer als der Brachiosaurus brancai im Naturkundemuseum. Ab Samstag werden er und seine Gefährten abgebaut, 2007 sollen sie wieder aufgestellt werden. Grund ist die Teilsanierung des berühmten Museums, in dem es seit Jahren an allen Ecken und Enden bröckelt

Die Superechse war eines der größten Landtiere auf diesem Planeten Die Urviecher werden als Bausatz in einer Fabrikhalle eingemottet

VON THOMAS JOERDENS

Eigentlich kann man sich kein Bild von diesen Riesen machen: Selbst wenn man vor den oft mühsam zusammengepuzzelten Skeletten der Dinosaurier steht, mag man nur entfernt erahnen, wie mächtig diese Tiere einst waren, wie sie ihre Umwelt dominierten – allein durch ihre unglaubliche Masse. Menschen wirken dagegen wie mickrige kleine Käfer, die ihre Hälse recken, um zu kapieren, wer da vor einem steht. Deswegen sind die Dinosaurier die einzigen fossilen Stars der Gegenwart.

Kein Wunder, dass die Besucher im Naturkundemuseum dafür Schlange stehen: Fast zwölf Meter hoch bäumt sich der Brachiosaurus brancai – oder besser sein Skelett – im Lichthof des Museums auf, über 22 Meter zieht sich sein Körper in die Länge, über 70 Tonnen wog das Vieh, als es vor 150 Millionen Jahren noch über die Erde trampelte. Die Superechse war eines der größten Landtiere, die jemals diesen Planeten bevölkerten, und auch heute gilt für ihn ein Superlativ: Er ist weltweit der größte in einem Museum aufgestellte Saurier. Es wirkt da fast wie ein Hohn, wenn diesem Skelett gewordenen Ungetüm ein Mensch erklärt: „Du hast eine falsche Haltung, du hast O-Beine, geh aufrechter.“

Genau das tut die moderne Saurierforschung: Nach neuesten Erkenntnissen, berichtet Ferdinand Damaschun, der Ausstellungsleiter des Museums, wäre der Brachiosaurus eben mit durchgedrückten Knien durch die Landschaft gelaufen. Und auch sein Schwanz hätte nicht auf der Erde geschleift, wie es jetzt noch dargestellt wird, sondern er hätte ihn in einem Meter Höhe ausbalanciert.

Doch jetzt ist es bald vorbei: Der versteinerte Star und seine klapprigen Kollegen in der Ausstellungshalle verschwinden aus dem Museum, sie sterben quasi ein zweites Mal aus. Die Urviecher werden als Bausatz in einer leer stehenden Fabrikhalle eingemottet. Da warten dann auch der 25 Meter lange gedrungene Diplodocus, der massige Dicraeosaurus, der Stachelschwanzsaurier Kentrurosaurus, der vergleichsweise zierliche Gazellensaurier Dysalotosaurus und der Räuber Elaphrosaurus auf ihre zweite Ausgrabung. Am Freitag kann man die Riesen zum letzten Mal in ganzer Pracht bewundern. Tags darauf wird die Saurierhalle fürs Publikum geschlossen. In den nachfolgenden Wochen können Dino-Fans aus den Nebenräumen beobachten, wie die Museumspaläontologen das Skelett des Brachiosaurus brancai fachgerecht zerlegen.

Die etwa 150 Millionen Jahre alten Knochentiere aus dem Jura müssen weichen, weil ihnen sonst das Glasdach auf die ausgeblichenen Schädel zu fallen droht. Der mächtige graue Gründerzeitkasten von 1889 ist zwar keine akut einsturzgefährdete Bruchbude, doch es bröckelt an allen Ecken und Kanten. Seit Jahren. Für viele ein untragbarer Zustand.

Das Museum für Naturkunde zählt mit 25 Millionen Objekten im Fundus zu einem der größten weltweit. Teilweise verwandelt es sich in eine Baustelle – voraussichtlich bis Mitte 2007. Dann wird der Saurier wieder aufgestellt – mit korrekter Haltung. Bis dahin wird nicht nur das Glasdach saniert. Auch Heizung, Lüftung, Elektrik, Brandschutz, Fenster, Anstrich werden erneuert. Der hinter dem Sauriersaal liegende Raum sowie ein Treppenhaus werden umgebaut und zusätzlich zwei Magazinsäle, einer mit Originalvitrinen von 1889, neu erschlossen. „Dadurch vergrößern wir unsere Ausstellungsfläche um fast 900 Quadratmeter“, freut sich Ferdinand Damaschun. Bisher kann der Leiter der Abteilung Öffentliche Ausstellungen über 6.000 Quadratmeter verfügen.

Für die Sanierung veranschlagt Ferdinand Damaschun gut die Hälfte der 18,6 Millionen Euro, die dem Museum zur Verfügung stehen. Das Geld stammt aus EU-Förder- und aus Lottomitteln. Außerdem schießt die Humboldt-Uni fast eine Million Euro dazu. Das Haus selbst steuert 330.000 Euro bei – aus den Einnahmen einer Patenschaftsaktion für Objekte aus den Sammlungen.

Mit der anderen Hälfte der 18,6 Millionen Euro wollen die Museumsleute die Ausstellung ausdehnen, modernisieren, aktualisieren. Der Sauriersaal, so wie er heute aussieht, wurde schon 1937 eingerichtet. Nach der Sanierung werden die Skelette nicht mehr so streng symmetrisch und dicht an den Wänden platziert, sondern leicht schräg in dem hohen Raum drapiert. „Aber wir werden hier keine wackelnden Gummisaurier zeigen oder wie ein Saurier einem anderen an den Hals springt“, stellt Ferdinand Damaschun klar. Die 1906 im ostafrikanischen Tendaguru (heute Tansania) entdeckten Knochenhaufen sollen weiterhin als ehrwürdige und respektierte Zeitzeugen den Mittelpunkt der Ausstellung bilden. Um die Fantasie der Besucher zu beflügeln, sollen fernrohrartige „Juraskope“ einen Blick in die Vergangenheit ermöglichen: In einer Animation bekommen die ausgestellten Saurier Fleisch und Haut auf die Rippen, fressen und wandern in urzeitlicher Wildnis.

Als weitere Attraktion „fliegt“ nach der Sanierung der Urvogel „Archaeopteryx“ vom Sauriersaal in den dahinter liegenden Raum. Das Berliner Exemplar des berühmten Fossils ist das am besten erhaltene und wird bisher aus Sicherheitsgründen im Museumssafe aufbewahrt.

In den neu gestalteten Räumen sollen die Forschungsergebnisse der Museumsinstitute dargestellt werden. Dabei geht es um große Fragen: Wie hat sich das Leben seit dem Urknall entwickelt? Wie und warum funktioniert Leben? Wie beeinflusst der Mensch seinen Lebensraum? Antworten gibt in zweieinhalb Jahren unter anderem eine Multimedia-Installation, die in eines der knapp 20 Meter hohen Treppenhäuser gebaut wird. Bewegliche Projektoren und Sound sollen die Entstehung der Erde und die Unendlichkeit des Raums vermitteln. „Mehr wird nicht verraten“, sagt Ferdinand Damaschun, der moderne Medien ansonsten eher sparsam einsetzen will.

Sein Chef, der kommissarische Museumsdirektor Michael Linscheid, betont, dass die anderen Ausstellungsabteilungen während der gesamten Instandsetzung geöffnet sind. Man kann also weiterhin erfahren, wie die Evolution von Flora und Fauna in den letzten 600 Millionen Jahren vorangeschritten ist. Besucher sehen versteinerte Pflanzen, glitzernde Mineralien, graue Meteoriten vom Mars und können die exotische und heimische Artenvielfalt als Dermoplastiken in Dioramen bestaunen. Der Bauplatz im Lichthof soll in eine begehbare Schaustelle verwandelt werden, und als Trost für die Brachiosaurus-Freunde ist ein „Sauriersälchen“ mit kleineren Exemplaren geplant.

In den Ausstellungen sind ungefähr 2.500 Exponate zu sehen. Das sind nur 0,03 Prozent des kompletten Schatzes, der sich vom Knochenkeller bis unters Dach verteilt. „Wir wollen das gar nicht alles zeigen“, sagt Michael Linscheid. Ein Großteil der Objekte sei für die Forschung angeschafft worden und als Material für die Besuchervitrinen uninteressant. Gleichwohl hofft der Interimsdirektor, irgendwann das komplette Haus inklusive der Sammlungen für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Der Museumschef träumt auch davon, den im Zweiten Weltkrieg zerbombten Ostflügel wieder aufzubauen und als klimatisierten Ausstellungssaal zu nutzen. Doch weder dieser noch der erste Wunsch sind momentan finanziell umsetzbar. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre die Aufnahme des Museums in die Leibniz-Gesellschaft, verbunden mit einer möglichen Bund-Länder-Förderung. Die schon einmal vertagte Entscheidung soll im März fallen bei der nächsten Sitzung der Bund-Länder-Kommission.

Und wenn das mit der Leibniz-Gesellschaft nicht klappt? Michael Linscheid ist trotzdem zuversichtlich, dass der nächste reguläre Generaldirektor den Aufbau des Ostflügels erleben wird. Dann sei halt die Humboldt-Uni gefragt, einen Finanzierungsplan aufzustellen. Mit 130 bis 200 Millionen Euro rechnen Planer, um das Gebäude komplett instand zu setzen; 30 bis 35 Millionen Euro würde der Ostflügel kosten. Auch wenn daraus so bald nichts wird: Jetzt ist immerhin ein Anfang gemacht.