Emotionaler Transit

Im Güterbahnhof machen sich junge Akteure eigene – und sehenswerte – Gedanken über ihre Zukunft

Ein Moment von hinreißender Wehmut, der zeigt, was imTheater passieren kann

Es ist ein positives Signal: das Logo der im Entstehen begriffenen Theaterschule des über die Landesgrenzen hinaus etablierten MOKS sieht aus wie ein E-Mail-Zeichen - „ja“ steht dort. „junge akteure“. Mit „Wo geht‘s hier nach Morgen?“ gibt das Jugendtheater-StartUp derzeit im Güterbahnhof respektable erste Visitenkarten ab. Professionelle Arbeitsbedingungen, „echtes“ Bühnenbild, aufmerksame Betreuung, das ist ein Teil des kulturpolitischen Rahmens. Der andere besteht gewissermaßen im Schlussapplaus. Dieser ist nicht mangels Qualität so dünn, sondern mangels Masse. Auch damit müssen die 15- bis 20-jährigen Talente klarkommen. Der Zuschauerraum wird nie wieder omaopamamapapavoll sein.

Alles im Halblicht zunächst, das Muster des Fußbodens ist blass, die Fensterscheiben matt. Der Raum ist leer, verströmt den maroden Charme von Provinzbahnhöfen, alten Schwimmbädern oder abgelegten Fabrikhallen. Es ist einer dieser Räume, in die man eintritt. Und wenn man sich umdreht, ist da kein Weg mehr zurück. Anders als in Sartres „Geschlossener Gesellschaft“ verheißt das klaustrophobe Ding nicht Tod und Ewigkeit, sondern Leben. Das „richtige Leben“. Über stampfende und wabernde Elektromusik ergießt sich ein Zitatgewitter: Beruf, Pläne, Zeit, Entscheidung. Worte aus der Erwachsenenwelt, vorgetragen im insistierenden Gestus des „erzähl doch mal...!“

Gemeinsam mit dem Schauspielnachwuchs entwerfen Kai Lenke und Rüdiger Pape in „Wo geht‘s denn hier nach Morgen?“ einen abstrakten Ort, den Wartesaal, indem sieben junge Leute aufeinander treffen. Hier wird erzählt von Abschieden, Träumen und vom Druck der Zukunft. Monologe im Abseits eines Foto-Automaten wirken wie Fundstücke. Eine Hommage an den „pinball wizard“ der „WHO“ und eine groteske Gruppenchoreographie aus der Welt der Berufsanbahnung der Bundesagentur, an deren Ende das gemeinschaftliche „Wir sind unberechenbar!!!“ verhallt, zeigen das Aufbegehren als gebrochenes. Uneindeutig auch die Sentimentalität, mit der Kindheit und Familie gedacht wird: „Die Turnschuhe, ich schicke sie euch zurück. Stellt sie doch zwischen Eure ins Schuhregal. Es wär gut zu wissen, dass sie einfach nur dort stehen...“ Das beständige Pendeln zwischen Geborgenheit und Haltlosigkeit kulminiert in einem wahrhaft schlauen Bild. Eine der Figuren erinnert sich an Kinderfotos, gruppiert die anderen zum Bildmotiv, nimmt sie mit der imaginären Kamera auf. Und sagt dann: „Früher haben unsere Eltern doch immer die Fotos gemacht“, Pause, dann zögerlich: „Jetzt sind doch wir dafür verantwortlich...“ Ein Moment von hinreißender Wehmut, der zeigt, was auf dem Theater passieren kann, wenn Erwachsene Jugendliche mit ihren Erfahrungen und Unsicherheiten tatsächlich ernst nehmen. Und die jungen Akteure damit etwas anfangen können. Tim Schomacker

Nächste Vorstellungen: 25. bis 27. 2., jeweils 20 Uhr im Güterbahnhof, Tor 48