: Der Humor bei Leonard Cohen
Angenehm desillusioniert: Christiane Rösinger und Peter Thiessen bestritten einen entspannten Abend über „Popmusiktexte 1: Krisenerfahrung“ in der Literaturwerkstatt
Draußen fiel sanft der Schnee, drinnen trötete James Browns „Sexmachine“ aus der Konserve. Ein komischer Beginn für einen gut besuchten Abend in der Literaturwerkstatt in der Kulturbrauerei, bei dem das Thema „Popmusiktexte“ verhandelt werden sollte. Würden Christiane Rösinger von Britta und Peter Thiessen von Kante ihre Songtexte einfach vorlesen? Sie als suhrkampfähige Lyrik behandeln?
Um es gleich zu sagen: Das machten sie nicht. Stattdessen haben sie ihre Stücke mit Gitarre vorgetragen und das Zusammengehen von Musik und Text betont. Thiessen eröffnete den Abend mit vier Kante-Stücken, allein mit einer Halbakustischen. Seine Erkältung hörte man nicht, nur das Stimmen (für das er sonst einen Roadie habe, wie er erläuterte) war eher lästig. Dass die Leute einfach herumsaßen und still waren, Weingläser statt Bierflaschen hielten und nicht rauchten, irritierte wohl auch etwas, weswegen er sich gleich mal versang. Ansonsten hätte man ein gutes Bootleg machen können, „Thiessen & Rösinger live in der LWS“. Rösinger schrammelte nonchalant auf einer E-Gitarre und bemerkte, sie hätte noch nie einen Roadie fürs Stimmen gehabt. Mit Humor und Selbstironie bildete sie den Gegenpart zum schüchternen, ernsthaften Thiessen, eine Paarung, die gut zu funktionieren schien.
Was sich auch in der anschließenden Gesprächsrunde bemerkbar machte. Rösinger war witzig, Thiessen bescheiden, im Zweifel war man einer Meinung. Moderator und Musikjournalist Martin Büsser ließ im Wesentlichen mal machen und streute hin und wieder ein paar Fragen ein. Ist das, was ihr macht, Lyrik? Ja, schon, schließlich käme Lyrik vom Singen, „so altertümlich“. Klar sähe man sich gern gedruckt, man müsste nur die vielen Refrains streichen. Grundsätzlich handele es sich bei einem Songtext aber um ein anderes Format. Und Musik, so Rösinger, sei eine Zeitkunst: „Es geht vorbei.“
Es gab Hinweise auf Rezeptionsprobleme (Erzähler nicht gleich Autor), auf Rollenspiele, Identifikationspotenziale und den Reimzwang. Thiessen gab an, von Romantik und Biedermeier nicht viel Ahnung zu haben (trotz Philosophiestudium), Rösinger droppte Kästner („linke Melancholie“) und – in Bezug auf Selbstironie – Heinrich Heine. Außerdem redete man über die Frauenquote in der Astronautenszene (kein Vergleich zum Musikgeschäft), den Humor bei Leonard Cohen und über die Sinnlosigkeit, Glück zu beschreiben. Denn schöne Songs seien halt immer traurig.
Anderen, einschlägig durchgekauten Themen wie Deutschquote oder Popliteratur wich man ebenfalls gekonnt aus, im Fall von Feminismus im Rockbiz und dem Wesen des Politischen in Songtexten allerdings sehr wortreich. Da plauderte Thiessen dann noch aus bekannten Nähkästchen und fügte den Modephilosophen Giorgio Agamben an. Die Stadt als „komische, Stein gewordene Psychoversion“. Der Zombie als Metapher. Die Öffnung der Hoch- gegenüber der Popkultur in den Feuilletons oder im Theater wurde wiederum von allen Seiten begrüßt. Von irgendwas muss man ja leben, überhaupt dann, wenn die gesamte Musikindustrie endlich untergegangen sein wird. Die letzte, übrig gebliebene Utopie.
Eigentlich sollte es in Zeiten Mainstream gewordener Jugendkultur auch um „Krisenerfahrungen“ gehen, nur waren Rösinger und Thiessen zu entspannt dafür. Oder zu angenehm desillusioniert. Der freundliche, gar vergnügliche Abend ging dann auch mit zwei musikalischen Zugaben zu Ende. RENÉ HAMANN
Am 11. März findet „Popmusiktexte 2: Subversion“ mit Bernadette La Hengst und Frank Spilker in der LWS, Kulturbrauerei, Prenzlauer Berg statt
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