Streik? Frechheit!

Der Winterdienst streikt, TV-Sender wie RTL schimpfen: „Ausgerechnet jetzt! Im Winter!“ Ja, wann denn sonst?

Die Niedersachsen, so singen sie selbst ganz gerne, seien „sturmfest und erdverwachsen“. Gegenwärtig trifft sich das ganz gut, denn die Straßen schneien ein, und kein Streufahrzeug weit und breit schafft Abhilfe. Warum? Weil in Niedersachsen, wie zuvor auch schon im Saarland, die Winterdienstler von der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di zum Warnstreik gerufen worden sind.

Nun verhält es sich mit dem Streik ein wenig wie mit dem Bankraub: Es gibt nur mehr wenige, die darin eine subversive, letztlich gar berechtigte, gesellschaftlich notwendige Aktion sehen wollen; Privatsender gehören schon gar nicht dazu, sondern schlagen sich flugs auf die Seite „des Steuerzahlers“ oder „des Autofahrers“. Deshalb sprachen sie gestern auch recht explizit von einer versuchten Körperverletzung derer, die da das Streuen unterlassen würden.

„Ausgerechnet jetzt!“ lautete der Tenor etwa im RTL-Mittagsjournal „Punkt 12“. Tja. Sollen die Streulaster doch im April in den Garagen bleiben, wenn auf dem Seitenstreifen die Primeln knospen. Ein Streik aber macht nur dann Sinn, wenn es etwas zu bestreiken gibt. Weshalb italienische Fluglotsen ja immer rechtzeitig zum Ferienbeginn ihre Arbeit verweigern. Und nicht im November. Für Niedersachsens Autofahrer scheint die naheliegendste Reaktion dennoch die fernste zu bleiben: einfach Auto abstellen und sich mit dem erliegenden Verkehr arrangieren. Rund um Mainz hat das zeitgleich ja irgendwie auch ganz gut funktioniert. CLEMENS NIEDENTHAL