Ein Mord, eine Affäre

Foltervorwürfe, spurloses Verschwinden mutmaßlicher Mörder – Burundi hat seinen Justizkrimi

VON FRANÇOIS MISSER

Das Restaurant „Cercle Nautique“ am Tanganjikasee ist ein beliebtes Ausflugsziel für Burundis gesellschaftliche Elite. Es liegt in einem vornehmen Bezirk der Hauptstadt Bujumbura und bietet einen hinreißenden Blick über das Wasser. Hier am Strand ist ein bizarrer Mord begangen worden. Er erschüttert nun ebendiese Elite – und das kurz vor dem Abschluss eines Friedensprozesses, der einen langen, blutigen Bürgerkrieg in Burundi beenden soll. Es geht in dem Fall auch um die Arbeitsweise internationaler Hilfswerke, die in Burundi – wie überall in kriegszerstörten Ländern – eine zentrale Rolle bei der Versorgung der Bevölkerung spielen.

Am 19. November 2001, spät in der Nacht, fand die Polizei am Strand des Cercle Nautique die Leiche von Kassy Manlan, Direktor bei der Vertretung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Burundi. Der 55-jährige Ivorer war, so die Ermittlungen, in seinem drei Kilometer entfernten Haus erschlagen worden.

Sogar der UN-Sicherheitsrat verurteilte den Mord. Burundis Staatsanwaltschaft ließ die vier Wächter des Hauses verhaften, die sagten, sie wüssten von nichts. Die Ermittlungen weiteten sich auf das gesamte WHO-Personal aus. Die Sekretärin des Toten, Gertrude Nyamoya, wurde festgenommen, der amtierende WHO-Leiter in Burundi, Lamine Diarra aus Mali, kam in Hausarrest.

All das gefiel der Weltgesundheitsorganisation nicht. Die Sekretärin bekam auf WHO-Kosten einen belgischen Anwalt, Bernard Maingain. Die von den burundischen Behörden verlangte Aufhebung der diplomatischen Immunität Diarras wurde abgelehnt. Im April 2002 verließ er zum allgemeinen Erstaunen das Land per Flugzeug. Aus dem Mord wurde eine Affäre.

Burundi befand sich damals im Bürgerkrieg. Hutu-Rebellen führten seit 1993 Krieg gegen das Tutsi-dominierte Militär des Landes. 300.000 Menschen, fünf Prozent der Bevölkerung, waren bereits ums Leben gekommen. Ein 2000 geschlossenes Friedensabkommen schien nur auf dem Papier zu bestehen. Dennoch war eine Machtteilung zwischen Hutu- und Tutsi-Politikern unter Tutsi-Staatschef Pierre Buyoya im Gange.

Es dauerte nicht lange, da beschuldigten Hutu-Politiker Buyoyas Staatsapparat, in den Mord verwickelt gewesen zu sein. Eine hohe, aber namentlich nicht genannte burundische Persönlichkeit habe WHO-Gelder für die Malariabekämpfung veruntreut, behauptete im August 2002 eine den Hutu-Parteien nahe stehende Webseite. Der ivorische Botschafter bei der UNO in Genf, wo die WHO ihren Sitz hat, wiederholte diese Beschuldigung in einem Brief an seinen Staatschef Laurent Gbagbo. Der getötete Manlan, so hieß es darin, habe Beweise für „die Veruntreuung von ausländischen Geldern, die für den Kampf gegen Malaria in Burundi bestimmt waren“, gesammelt. Der WHO-Vertreter sei gezwungen worden, diese Beweise zu vernichten, dann sei er selbst getötet worden. Eine andere den Hutu-Rebellen nahe stehende Webseite behauptete sogar, Burundis Präsident Buyoya persönlich sei für den Mord verantwortlich.

Es ist bei solchen Beschuldigungen völlig unerheblich, ob sie stimmen oder nicht. Gerüchte reichen, um im Afrika der Großen Seen Karrieren zu begründen – oder sie zu ruinieren. Buyoya ist Burundis mächtigster Politiker: Er regierte als Militärdiktator von 1987 bis 1993 und putschte sich 1996 erneut an die Macht. Sein Einfluss bleibt erheblich, obwohl er Anfang Mai 2003 gemäß den Vereinbarungen eines Friedensvertrags die Macht an einen Hutu übergab, Domitien Ndayizeye (siehe Kasten links).

Unter Druck geriet Buyoya gleich nach seinem Rücktritt. Ende Mai 2003 wurden Burundis Geheimdienstchef, zwei Polizeidirektoren, der Generalstaatsanwalt und der Gesundheitsminister vom Untersuchungsrichter in der Affäre Manlan vorgeladen. Grund: Einer der inhaftierten Wächter hatte zwei hohe Polizisten und einen Militär beschuldigt, den WHO-Vertreter kurz vor seiner Ermordung aufgesucht zu haben.

Ein Gerichtsverfahren nahm seinen Lauf, mit widersprüchlichen Zeugenaussagen, spektakulären Widerrufen, Foltervorwürfen an den Geheimdienst und dem spurlosen Verschwinden zweier mutmaßlicher Mörder aus dem Polizeigewahrsam. Burundi hatte seinen Justizkrimi, viel spannender als die Vollendung des Friedensprozesses. Am 13. Januar 2005 schließlich beantragte die Anklage für vier Polizisten die Todesstrafe, für fünf „Komplizen“ lebenslange Haft und für zwei Manlan-Wächter Haftstrafen von 15 bzw. 2 Jahren. Ungeklärt blieb aber, wer die Mörder gedungen haben könnte.

Das Urteil im Mordprozess Manlan wird erst für April erwartet. Aber zeitgleich läuft eine Wiedergutmachungsklage der 2003 wieder freigelassenen Sekretärin Gertrude Nyamoya. Ihr belgischer Anwalt Bernard Maingain sorgte in seinem Plädoyer am 27. Januar für eine Sensation: Er forderte das Gericht auf, Stellung zu der Frage zu beziehen, ob Expräsident Buyoya den Mord in Auftrag gegeben habe.

Dieser direkte Angriff auf Burundis alte Elite schlug ein wie eine Bombe. Die burundischen Radios unterbrachen ihre Programme für Sondersendungen. Buyoya äußerte sich am nächsten Tag aus Paris: Die Anschuldigung sei eine „Beleidigung“ von „auf Unheil bedachten Menschen“. Am 8. Februar reichte Pierre Buyoya zusammen mit seiner Ehefrau Sophie Buyoya Klage gegen den belgischen Anwalt wegen übler Nachrede ein.

Nun liegt diese Affäre wie ein Schatten über Burundis Friedensprozess, während dieser in die entscheidende Phase tritt. Am Montag stimmt Burundi über eine neue Verfassung ab, auf die in den nächsten Monaten freie Parlaments- und Kommunalwahlen folgen sollen. Das Parlament wird dann im April einen neuen Staatschef wählen. Zu dieser Wahl sind Buyoya sowie der amtierende Präsident Ndayizeye laut der zur Abstimmung stehenden Verfassung nicht zugelassen. Das bedeutet für Buyoya vorläufig das Aus. Stattdessen droht ihm nun ein Verfahren. Die Affäre „droht den gesamten Polizeistaat des Buyoya-Systems in entehrender Weise zu entlarven“, schreibt eine burundische Zeitung.

Unter anderem deswegen trommeln die Tutsi-dominierten Parteien um Buyoya für ein Nein zur Verfassung. Die Hutu-dominierten Parteien wollen ein Ja. Erste Gerüchte über bewaffnete Tutsi-Gruppen machen die Runde, während noch immer radikale Hutu-Rebellen Gewehr bei Fuß stehen.

So bereitet die Affäre Manlan, wenn sie eine Affäre Buyoya wird, neuer Instabilität den Boden. Aber sie wirft auch die Frage auf, ob eine internationale Organisation wie die WHO überhaupt arbeitsfähig ist in einem so instabilen Land. Zu tun hat sie reichlich: Malaria ist in Burundi endemisch, und die Zerstörungen des Bürgerkrieges begünstigen ihre Ausbreitung. Starke Regenfälle haben in mehreren Landesteilen zu Malariaepidemien geführt. Nach UN-Angaben sterben 114 von 1.000 burundischen Kindern vor ihrem fünften Geburtstag. Liegt es an der Korruption, dass sich daran nichts ändert? Dieser Meinung ist Anwalt Maingain. Er sagt, das veruntreute Geld sei von Belgiens Regierung im Rahmen eines UN-Hilfsappells an Burundis Staatsbank überwiesen worden. Von dort sei es auf einem Konto eines Buyoya-Freundes in Frankreich gelandet.

Aber Maingain ist nicht in der Lage, die Höhe der Summe zu nennen. Und glaubt man der WHO, gab es überhaupt kein veruntreutes Geld. Am 27. August 2003 schrieb ein Anwalt der WHO in Genf der inkriminierten Sekretärin Gertrude Nyamoya, die Weltgesundheitsorganisation habe vor Manlans Ermordung „keine wesentlichen Geldmittel für Malariaprojekte in Burundi“ erhalten. Ein Kontrollbericht der WHO gibt für 2000/01 die offiziellen Ausgaben zur Malariabekämpfung mit 64.483 US-Dollar in Burundi an – das reicht nicht einmal, um einen ausländischen Experten zu bezahlen.

Hat also nicht nur Buyoya vielleicht etwas zu vertuschen, sondern auch die WHO? Merkwürdig ist, dass die Weltgesundheitsorganisation sich nicht als Nebenkläger im Manlan-Mordprozess vertreten lässt. Stattdessen hat sie eigene Untersuchungen durchgeführt. Dem Gericht in Burundi und Maingain gegenüber weigert sie sich, die Ergebnisse herauszurücken.