Muslime wollen sich selbst emanzipieren

Kopftuch-Trägerinnen wollen nicht länger als Opfer betrachtet werden. Duisburger Musliminnen erzählen der taz, was sie sich von der deutschen Gesellschaft wünschen, warum SozialarbeiterInnen nerven und was die Deutschen zu bieten haben

AUS DUISBURGTJITSKE YPMA

Die türkischstämmigen Frauen im Duisburger Frauenverein NISA haben es satt, immer als Opfer betrachtet zu werden. Die vier Kopftuchträgerinnen sitzen an einem Tisch und regen sich über den Spiegel-Artikel auf, der vor ihnen liegt. Wieder geht es in der Titelgeschichte „Für uns gelten keine Gesetze“ um muslimische Frauen, die vom Patriarchat unterdrückt sind. „Der Spiegel war nach einer Woche ausverkauft“, sagt Zehra Yilmaz. Musliminnen würden angesichts solcher reißerischer Artikel für hohe Verkaufszahlen missbraucht.

Yilmaz betet und fastet, bezeichnet sich als gläubige Muslimin. Von ihrem Mann hat sie sich aber getrennt, weil er „zu konservativ“ war. Auch wenn sie den Spiegel nicht gekauft hat, „um die Auflage nicht zu erhöhen“, ist ihr bewusst, dass viele muslimische Frauen wirklich Opfer von Gewalt und Unterdrückung sind. „Aber die gibt es bei den Deutschen doch auch“, wirft ihre Freundin Sevgi Yüksel ein. Helfen könne man aber den Frauen nicht, indem man sie verurteilt oder bemitleidet. „Das entfernt nur die Opfer von denen, die sie unterstützen wollen“, sagt Yilmaz. Die Frauen brauchen Hilfe vor Ort, meinen die beiden Duisburgerinnen. Deshalb hat Yilmaz im vergangenen Jahr den Frauenverein NISA gegründet. Yilmaz hört sich die Probleme von muslimischen Frauen an, versucht Lösungen zu finden, ohne gleich ihr Leben zu verurteilen. Sie vermittelt ihre Klientinnen an das nächste Frauenhaus oder findet einen Schlichter für die Eheprobleme. „Das kann auch mal ein Nachbar sein“, sagt sie. Sie gibt den Frauen das Vertrauen, das ihnen bei deutschen Sozialarbeitern oft verwehrt wird.

Mindestens so wichtig wie die Beratung sind die Deutschkurse, die NISA anbietet. Deutschkenntnisse sollen den Frauen helfen, sich in der Gesellschaft besser zu behaupten. „Eine Frau mit Selbstbewusstsein wird sich nie Gewalt oder Diskriminierung gefallen lassen“, ist sich Yilmaz sicher. Sie kämpft dafür, dass Frauen mit Kopftuch Zutritt zu Arbeitsplätzen erhalten.

Damit hat ihre Freundin Sukray Arslan schlechte Erfahrungen gemacht: Sie hat ihr Medizinstudium erfolgreich abgeschlossen, bekam aber keine Pratikumsangebote vom Arbeitsamt. Der Berater sagte ihr, dass sie mit Kopftuch keine Chance habe. „Dafür musste ich einen psychologischen Test machen“, erzählt die junge Frau. Der Berater wollte prüfen, ob sie ihr Kopftuch freiwillig trägt. Arslan schüttelt den Kopf. „Wenn ich es nicht tragen wollte, hätte ich mit der Aussage des Beraters meine Eltern überreden können, dass ich das Kopftuch entfernen darf. Aber ich habe gerade dafür gekämpft, es zu behalten!“ Den Test empfand sie als Erniedrigung. „Ich musste sagen, welche Abbildung rund war und welche quadratisch“, sagt Arslan. Schließlich hat Arslan selbst alle Ärzte angerufen und ein Praktikum gefunden. Jetzt hat sie eine feste Stelle.

Diese scheinbar gut gemeinte Einmischung des Staates ist nicht der richtige Weg zur Emanzipation von muslimischen Frauen, finden auch Yilmaz und Yüksel. „Nur wenn es Kinder anbelangt, ist Einmischung angebracht. In der Schule könnten LehrerInnen darauf achten, dass Kinder nicht gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen oder den ganzen Tag im Haus zu bleiben.“ Wenn das geschehe, sollten die LehrerInnen erst mit den Eltern reden und wenn auch das nicht hilft, sich bei einem Moscheeverein beklagen, schlagen die Frauen vor. „Das ist eine Instanz, zu der die Eltern Vertrauen haben“, so Yüksel.

Yüksel und ihre Freundin Singul Sümer glauben, dass Frauen die Emanzipation der nachfolgenden Generationen beeinflussen können. „Eine Frau sollte ihre Söhne so erziehen, wie sie sich ihren eigenen Mann wünscht“, so Yüksel. „Mein dreizehnjähriger Sohn hilft mir beim Einkaufen und wirft seine Dreckwäsche in den Wäschekorb. Ich bin sicher, dass seine zukünftige Frau mit ihm glücklich sein wird“, sagt Sümer. Ihre Tochter ermutigt sie, zur Schule zu gehen. „Ich habe ihr alles über den Islam erklärt. Jetzt darf sie selbst entscheiden, was sie tut. Regeln wirken nur, wenn Kinder das selbst verstehen. Man kann Kinder nicht zwingen.“

Als ein männliches Familienmitglied Sümer sagte, dass ihr Sohn der Mann in Haus sein sollte, weil sie von ihrem Mann getrennt lebt, trat sie ihm vehement entgegen. Sie will nicht, dass ihr Sohn über sie und ihre Tochter das Regiment übernimmt. Um sich hier zu behaupten, brauchte sie keinen deutschen Sozialarbeiter.

Welche Rolle kann dann noch die deutsche Gesellschaft einnehmen? Der Staat könne muslimischen Frauenvereinen Geld zur Verfügung stellen, zum Beispiel für Sprachkurse, findet sie.

Auch Gesetze nach dem Beispiel der Niederlande könnten helfen: Dort dürfen Frauen aus der Türkei und Marokko zur Verhinderung von Zwangsehen erst mit 21 Jahren heiraten und müssen die niederländische Sprache lernen. Manche deutsche Gesetze seien außerdem reformbedürftig, sagt Yilmaz. So sei es für viele geprügelte Frauen schrecklich, dass sie drei Jahren verheiratet sein müssten, bevor sie eine selbständige Aufenthaltserlaubnis bekommen.

Yüksel glaubt, die Deutschen und Zugewanderten sollten sich annähern. „Wir leben schon 40 Jahre neben einander und wissen kaum etwas über einander. Wenn mein Nachbar mich fragt, warum ich ein Kopftuch trage, läuft etwas grundsätzlich falsch“, findet Yüksel.

Trotz des schlechten Verhältnisses zwischen der deutschen Bevölkerung und der türkischen Minderheit schauen die Frauen bei der Duisburger NISA optimistisch in die Zukunft: „Beide Seiten werden entdecken, dass die andere nicht gefährlich ist, sondern viel zu bieten hat“, sagt Yilmaz. Auch die Probleme einiger Muslime lassen sie nicht schwarzsehen. „Schau, hier sitzen Doktor Arslan, Kindererzieherin Yüksel und Unternehmerin Sümer. Alles starke muslimische Frauen. Die Zukunft Deutschlands.“