Der dunkle Klang der Blechbläser

BERLINER ENSEMBLES (6) Das Deutsche Symphonie-Orchester ist längst aus seinen Anfängen als Klangkörper der Berliner Radiosender hinausgewachsen. Allerdings muss schon wieder ein neuer Chefdirigent gesucht werden

Höchste Ansprüche an musikalische Vermittlungsarbeit – das ist Teil des Profils des DSO

VON BJÖRN GOTTSTEIN

Die Kollegen von den Philharmonikern hätten nicht schlecht gestaunt, erinnert sich der Cellist Mathias Donderer. Damals habe bei ihnen der Saal getobt, während bei den renommierten Kollegen der greise Karajan die Tradition erstarren ließ. 1982, Donderer war damals 21 Jahre alt und ganz neu im Orchester, begann beim DSO die Ära Riccardo Chailly. Man hatte sich für einen jungen Chefdirigenten entschieden und wurde belohnt. Chailly führte das Orchester mit Umsicht und Eleganz und verlieh dem Orchester einen geschmeidigen, modernen Klang.

Das DSO ist immer das zweite Orchester im Berliner Westen gewesen. 1946 wurde es als Orchester des RIAS (heute Deutschlandradio) gegründet; 1956 sicherte sich auch der SFB (heute RBB) die Dienste des Klangkörpers und aus dem RIAS-Symphonie-Orchester wurde das Radio-Symphonie-Orchester Berlin. Natürlich spielt der Rundfunk eine große Rolle in der Geschichte des Orchesters: 1959 war es Gegenstand der ersten Stereosendung im deutschen Rundfunk. Und das Engagement der Radioanstalten für neue Musik führte dazu, dass die Musiker seit je mit der Klanggebung der Avantgarde vertraut sind.

Aber wichtiger als der Rundfunk waren die Chefs. Ferenc Frisay, der von 1948 bis 1963 am Pult des Orchesters stand, etablierte damals Strawinsky und Schönberg im Konzertsaal und engagierte sich für ungarische Komponisten wie Béla Bartók und Zoltán Kodály. Ihm folgte Lorin Maazel, der Meister „romantischer Raritäten“ wie Berlioz und Liszt, der außerdem die Mahler-Renaissance der Sechzigerjahre prägte.

Er selbst habe unter vier ganz verschiedenen Chefs gearbeitet, lässt Donderer die vergangenen 27 Jahre Revue passieren, vier Chefs, die ganz eigene Vorstellungen vom Repertoire, der Probenarbeit und der Klangtradition hatten. Auf Chailly folgte damals der Vollblutmusiker Vladimir Ashkenazy, der die Werke mit großer Intuition bewältigte, der aber als ausgebildeter Pianist wenig für die Orchestererziehung getan habe. Wenn es bei den Proben einmal hakte, habe man einfach wieder von vorn begonnen, bis man das Stück irgendwann habe durchspielen können. Ashkenazy liebte die russische Tradition, vor allem Schostakowitsch. Aber auch unter seiner Leitung wurde Verschollenes und Vergessenes aufgeführt und das Orchester hatte großen Anteil an der CD-Reihe „Entartete Musik“, die die Musikgeschichte zurechtrückte.

Die Verpflichtung Kent Naganos markiert dann einen signifikanten Bruch. Jetzt habe die Arbeit am Timbre im Mittelpunkt gestanden. Ganze Proben wurden dem Bogendruck und dem Vibrato gewidmet, bis das Orchester in luziden Farben leuchtete. Nagano stand nicht nur für ein modernes Repertoire, er setzte auch ungewöhnliche Programme durch und konfrontierte auch schon mal eine Bruckner-Sinfonie mit einer Renaissance-Motette.

„Ich sehe uns als das Berliner Orchester mit dem höchsten Anspruch ans Programm“, erklärt auch Alexander Steinbeis, seit 2007 Orchesterdirektor des DSO. Ein präziser thematischer Fokus ist stets wichtiger gewesen als ein weiterer Beethoven-Zyklus. Ingo Metzmacher, der Nagano 2007 ablöste, stellte jede Saison sogar unter ein eigenes Motto: „Aufbruch 1909“ spürte in der vergangenen Spielzeit dem Ende der Tonalität nach. Und unter dem Schlagwort „Verführung“ wird die Musik auf Suggestion und Lust hin abgehorcht. Metzmacher hatte mit der CD-Reihe „Who’s Afraid of 20th Century Music“ und dem Buch „Keine Angst vor neuen Tönen“ (2005) einen hohen Vermittlungsanspruch formuliert. Dieser Anspruch ist heute ein wesentlicher Teil des DSO-Profils, das mit moderierten „Casual Concerts“ auch das Gespräch mit dem Publikum sucht und Programme so gestaltet, dass sich die Werke gegenseitig erhellen.

Nun ist die Berliner Orchesterlandschaft nicht mehr die, die es mal war. Seit der Wiedervereinigung gibt es in Berlin vier reine Sinfonieorchester, hinzu kommen drei Opernorchester. Das ehemalige RSO Berlin änderte seinen Namen 1993 ein zweites Mal und wurde zum Deutschen Symphonie-Orchester Berlin. Es ist, mit dem Rundfunksinfonie-Orchester des ehemaligen DDR-Rundfunks in einer gemeinsamen GmbH vereint, immer noch ein Rundfunkorchester und nimmt die damit einhergehenden Pflichten wahr. Auch im Rahmen der RBB-Kinderkonzerte, der Reihe „Debüt im Deutschlandradio“ oder beim Neue-Musik-Festival „Ultraschall“ ist das Orchester gefordert. Aber nicht nur dem Namen nach hat sich das DSO von der reinen Rundfunk-Existenz gelöst. Es ist regelmäßig auf den großen Festspielen in Salzburg oder Baden-Baden zu Gast, absolviert Tourneen und wird international als eines der großen deutschen Orchester wahrgenommen.

Jetzt allerdings steht ein weiterer Bruch bevor. Aufgrund von Differenzen mit dem Dachverband, der Rundfunk Orchester und Chöre GmbH Berlin (ROC), legt Metzmacher sein Amt zum Ende der kommenden Spielzeit nieder. Nach nur drei Jahren muss wieder ein Dirigent verpflichtet werden.

Der Dirigent sei aber auch nicht alles, gibt Donderer zu bedenken. Man dürfe die Klangtradition vielleicht nicht überbewerten, aber es bildet sich im Laufe der Jahrzehnte doch ein spezifischer Sound heraus, der von älteren Kollegen an jüngere weitergegeben wird. Mitunter hätten exzellente Musiker wieder gehen müssen, einfach weil ihr Geigenton zu hell, ihr Hornspiel zu spitz gewesen sei und sich der Musiker nicht in das Ensemble habe einbetten können. Der dunkle, weiträumige Klang der Blechbläser zum Beispiel sei eine Klangsignatur, die das Orchester über Jahrzehnte hinweg auszeichne. Daran wird auch Metzmachers Nachfolger nichts ändern können oder wollen, und das ist einmal etwas Gutes.