NANA HECK ALLEINLAGE
: Das Klopapier von Bogotá

All die Jahre sind wir ökologisch korrekt mit dem Zug verreist. Doch was, wenn die Bauerstochter der Einöde entfliehen will? Über den Wert des Fernflugs für Jugendliche

Reisen ist schön. Es bildet und fördert den Austausch zwischen den Kulturen. So weit die Theorie, hier unsere Praxis.

Bäuerliche Tierhaltung steht in direktem Gegensatz zum Verreisen. Tiere wollen versorgt und gehütet werden und bringen für den Urlaubswunsch ihrer Halter kein Verständnis auf. Zudem ist die Reisezeit auch Erntezeit.

Deshalb wachsen unsere Kinder auf, ohne jemals einen typischen Familienurlaub an der Ostsee oder in den Bergen erlebt zu haben. Stattdessen gibt es Urlaub auf dem Bauernhof satt und ab und zu eine Kurzreise mit dem Zug. Dafür werden haufenweise günstige Tickets von ökologisch fragwürdigen Einrichtungen wie Lidl oder McDonald’s gehortet, um der Bahnreise nicht nur klimabilanztechnisch, sondern auch finanziell etwas abzugewinnen. Gemein: Billigfluglinien bieten dem unkorrekt Reisenden für 34 Euro erheblich größere Entfernungen an. So viel kostet eine Normalpreiszugfahrt von unserer nächsten Kleinstadt nach Berlin, one way wohlgemerkt. Sowas lehnen wir natürlich ab.

Unsere Kinder jedoch interessieren sich mit zunehmendem Alter und auf der Suche nach eigenen Werten immer weniger für die unsrigen. Langsam finden sie das Leben in Alleinlage langweilig oder schlicht scheiße.

Letztes Jahr kam, was kommen musste. Unsere 16-jährige Tochter war genug Bahn gereist und beschloss, ein Jahr in Bogotá, Kolumbien, zur Schule zu gehen, um dort neben Spanisch gleich auch mal die Welt kennenzulernen. Es sollte der erste Flug ihres Lebens werden.

Die Acht-Millionen-Stadt ist einer der krassesten denkbaren Gegensätze zur hiesigen bäuerlichen Landidylle. Während der Polizeibericht unserer Tageszeitung allenfalls gestohlene Fahrräder erwähnt, herrscht in Kolumbien eine der höchsten Kriminalitätsraten weltweit. Im Gegensatz zur relativen Armut hier lebt in Bogotá jeder Zweite in existenzieller Armut. Auf den verstopften und kaputten Straßen stehen an jeder Ampel Bettler. Verkehr bedeutet Autofahren ohne Regeln, Verkehrszeichen haben allenfalls beratende Funktion.

Dies alles gibt es bei gleichmäßig kühlem bis lauem Klima ohne jahreszeitliche Schwankungen. Das Land hat Atlantik- und Pazifikküste sowie von tropischem Regenwald bis zu schneebedeckten Andengipfeln alles zu bieten. Der interessanteste Unterschied zu Deutschland, berichtet das Kind, sei jedoch der kolumbianische Umgang mit benutztem Klopapier. Wegen der überlasteten Kanalisation wird das im Hausmüll entsorgt, in dem später Sammler auf ihre erschwerte Suche gehen.

Inzwischen ist ein Jahr vergangen und das Kind wieder heimgekehrt. Unser Bauernhof erscheint unserer nun 17-Jährigen erheblich schöner. Fahrradfahren ist einfach wunderbar, die Ruhe ist lang ersehnt und das Mitwirken an bäuerlicher Lebensmittelproduktion ein echtes Privileg. Danke, Bogotá!

■ Die Autorin ist Biobäuerin in Mecklenburg Foto: privat