Haiku-Gedichte statt Makramee

An der Kölner Melanchthon-Akademie können ältere Menschen einen „Kulturführerschein“ machen. Viele von ihnen wollen später ehrenamtlich eigene Kulturprojekte initiieren und leiten

VON MELANIE KATZENBERGER

Frau Termeers Gruppe Sitzt still wie eine Puppe Heute riecht sie Rosen

Noch während Edeltraut Termeer erklärt, was ein Haiku ist, hat eine Seminarteilnehmerin eines geschrieben und darin zusammengefasst, worum es geht. Um 13 Frauen und vier Männer, die im Seminar „Kulturführerschein“ gespannt der Diplompädagogin Edeltraut Termeer lauschen. Sie sitzen in einem Raum der Melanchthon-Akademie in Köln, vor ihnen auf dem Boden stehen Rosen. In einer Duftlampe dampft Rosenöl. Heute beschäftigen sie sich mit dem Haiku, einem japanischen Kurzgedicht aus drei Zeilen mit der Silbenfolge Fünf-sieben-fünf.

„Mein Blatt bleibt blanko, das kann ich jetzt schon sagen“, stöhnt eine Frau, während Edeltraut Termeer Schreibunterlagen und Stifte verteilt. „Jeder, der zählen kann, kann auch Haikus schreiben“, beruhigt sie Hermann Joseph Kohl. Der 71-jährige ehemalige Buchhändler aus Köln hat in einem halben Jahr mehr als hundert Haikus geschrieben. „Das ist eine wichtige Übung, um mich zu konzentrieren“, sagt er.

Konzentriert ist die Stimmung jetzt tatsächlich. JedeR hat sich eine Rose genommen und in eine ruhige Ecke verzogen. Eine halbe Stunde haben die Frauen und Männer Zeit für ein Rosen-Haiku. Edeltraut Termeer bereitet derweil Rosenbowle vor und schneidet türkischen Honig mit Rosengeschmack in Stücke. „Es sollen alle Sinne angesprochen werden“, sagt die 55-jährige Seminarleiterin.

Das Konzept für den Kulturführerschein haben zwei Pädagoginnen der Diakonie in Düsseldorf entwickelt, um Menschen den Übergang in den Ruhestand zu erleichtern. „Man hat irgendwann festgestellt, dass Senioren mit Makrameearbeiten nicht mehr hinterm Ofen hervorzulocken sind“, sagt Termeer. Die „neuen Alten“ wollen nicht beschäftigt werden, sondern aktiv sein. Das können sie beim Kulturführerschein. An sieben Seminartagen setzen sie sich mit unterschiedlichen Kultur-Sparten wie Literatur, Musik, Film und Theater auseinander. Sie lernen Bibliotheken, Kinos, Museen und andere Kultureinrichtungen Kölns kennen, schauen hinter die Kulissen, sprechen mit Verantwortlichen – und sie arbeiten selbst. Als es etwa um Beuys ging, haben sie sich mit Honig, Milch, Wachs und Filz an eigenen Werken versucht. „Ich halte hier keine Vorträge“, sagt Termeer. Sie lenke vielmehr die vorhandene Kreativität in die richtigen Bahnen.

„Sehr gut“, finden Roswitha und Alex Wormland (68 und 63 Jahre) , beide pensionierte Lehrer, das Konzept. Zu dem gehört, dass die Teilnehmenden am Ende selbst eine Kulturveranstaltung gestalten, als Feuerprobe für später. Dann wollen viele eigene Kulturprojekte anschieben. Alex Wormland, der ehrenamtlich den Verein Kindernöte e.V. leitet, will Kindern das romanische und das moderne Köln zeigen, mit den an Maria Montessori angelehnten Methoden, die er im Seminar gelernt hat.

Horst Friedrich, emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften, will eine Kunstwerkstatt für Kinder und Jugendliche in Overath ins Leben rufen. Hella Berlinski hat schon ihren ersten Auftrag. Im November soll die 62-Jährige einer Reisegruppe aus Hamburg moderne Kunst in Köln zeigen. Ein Verwandter habe sie darum gebeten, erzählt sie. Bei ihrem Job am Grafikcomputer eines Planungsbüros war sie mit ihrer Leidenschaft für moderne Kunst und Jazz immer allein. „Bei meinen Kollegen habe ich wenig Verständnis gefunden“, sagt sie. Hier genießt sie das Zusammensein mit Gleichgesinnten, heute bei Rosenbowle und Poesie. Sie liest:

Ein Sommerabend eh die blaue Stunde naht Kühle sinkt herab

Kulturführerschein, Infoveranstaltung für die 2. Runde: 4. März 10-13 Uhr. Anmeldung: 0221/931 80 30, Kosten 15 Euro, Ort: Melanchthon-Akademie Köln, Kartäuserwall 24b, www.melanchthon-akademie.de