Hochwasser kennt keine Grenzen

NRW und die Niederlande arbeiten beim Hochwasserschutz am Rhein zusammen. Deiche sollen erhöht, Rückzugsräume geschaffen werden. Nur die Anwohner sind auf beiden Seiten der Grenze skeptisch und wollen nicht auf ihre Aussicht verzichten

AUS ARNHEIM TJITSKE YPMA

Meterhohe Schneeberge warten in den Alpen auf ihre Schmelze. Regen fällt, neuer Schnee kommt dazu. An manchen Tagen steht das Rheinwasser in den Anrainerstädten bis zu den Uferstraßen. Vor zwölf und vor zehn Jahren schwappte der Rhein in zwei Jahrhunderthochwassern sogar über die Straßenseite. Geschätzter Schaden: 200 Millionen Euro. In den Niederlanden wurden 1995 gleichzeitig 250.000 Menschen evakuiert. Geschätzter Schaden: 1,8 Milliarden Euro.

Seitdem haben die Politiker nicht still gesessen. Schön länger geplante Verbesserungen wie die Deichverstärkungen wurden beschleunigt durchgeführt. Ein neuer Gedanke entstand: Der Rhein braucht mehr Raum. Deiche sollten verlegt, die Flutlande vertieft werden. So kann das Wasser nicht so schnell klettern. Solche Maßnahmen können aber nicht in einem Land, sondern nur international getroffen werden. Deshalb entstand 1997 eine Kooperation zwischen den Niederlanden und dem größten Bundesland. NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne), Staatssekretärin Melanie Schulz van Haegen (Liberale) aus den Niederlanden und der Abgeordnete Harry Keereweer (Provinz Gelderland) haben ihre gemeinsamen Ziele in einem Vertrag festgelegt. Sie vereinbarten einen Informationsaustausch, um dem Rhein Platz zu bieten.

„Man kann nicht ewig Deiche erhöhen. Das ist gefährlich, weil der Unterschied zwischen Wasserhöhe und Land zu groß wird. Wenn dann ein Deich durchbricht, steht das Wasser bis zum Dach der Häuser“, sagt Mettsje de Boer von Rijkswaterstaat in Arnheim, die die Zusammenarbeit mit Deutschland koordiniert. Sie arbeitet in einem hohen Turm und kann gut sehen, wie das Wasser über die deutsch-niederländische Grenze kommt. Der grenzüberschreitende Blick ist selten: Beim Hochwasser 1995 wussten die Menschen auf der deutschen Seite der Grenze nicht, dass ihre Nachbarn evakuiert wurden. Auch wussten die Einsatztruppen beider Länder nicht, welche Vorkehrungen jeweils ergriffen wurden.

Jetzt ist jedes Land am Rhein dazu verpflichtet, etwas gegen Hochwasser zu tun. Und die Behörden informieren sich grenzüberschreitend. „Maßnahmen am Fluss, zum Beispiel eine Verbreiterung des Bettes oder eine Erhöhung der Deiche wirken sich noch 50 bis 70 Kilometer stromabwärts oder stromaufwärts auf die Wasserhöhe aus“, sagt De Boer. Deshalb sei es wichtig für das Grenzgebiet, dass die Niederlande und NRW zusammenarbeiten. Genau so wie es normal sei, dass Hessen und NRW sich austauschen würden. Während die Landes-Politiker aus dem Bindestrichland und den Niederlanden sich einig sind, streiten sich lokale Politiker und Bewohner über geeignete Korrekturen. Viele Menschen wollen nicht, dass ihre Gegend im Notfall geflutet wird und wehren sich gegen Deicherhöhungen, weil das ihre Sicht beeinträchtigt.

In Deutschland sind die Gegner bis jetzt erfolgreicher, weil bislang noch kein Gesetz Katastrophenpläne, wie zum Beispiel die Notflutungen, vorschreiben kann. „Wenn die Menschen die Gefahr des Wassers nicht sehen, ist es schwierig sie zu überzeugen“, sagt Frans Klijn von der Rijkswaterstaat. Wenn lange nichts passiert, wiegen sie sich in Sicherheit. In den Niederlanden protestieren die Menschen nicht nur aktiv, sie haben auch alternative Vorschläge gemacht. Die Einwohner der Ooijpolder, ein Gebiet bei Nimwegen, sind zwar einverstanden mit der Vertiefung und Verbreiterung des Flusses, sie sehen aber keine Notwendigkeit für Notfallpolder. Die Bürgerinitiative hat mittlerweile auch das Parlament überzeugt. In diesem Sommer wird die zuständige Ministerin die ausschlaggebende Entscheidung fällen. In Deutschland protestieren Bürger im Kreis Kleve bis jetzt erfolgreich gegen Pläne, ein Rückzugsraum in ihrem Gebiet anzulegen. Das NRW-Umweltministerium will einen rund 500 bis 700 Hektar großen Raum schaffen, um die Spitzen extremer Hochwasser abfangen zu können. Die zuständige Düsseldorfer Ministerin Bärbel Höhn hat angekündigt, ein Gesetz zu erlassen, wenn die Bewohner nicht den Schutz für ihre Nachbarn ermöglichen. „Wir müssen solidarisch sein, wenn es ums Wasser geht“, sagt Höhn. Wasser kenne keine Grenzen.