EU setzt Tafeln auf Diät

Das Gratis-Essen der gemeinnützigen Tafel-Vereine wird durch eine europäische Lebensmittelverordnung gefährdet: Immer mehr Spender springen ab.

von MIRIAM BUNJES

Bei der Essener Tafel gibt es nur noch selten Obst oder Gemüse. Der gemeinnützige Verein, der Bedürftige mit kostenlosen Lebensmittelpaketen versorgt, hat in der vergangenen Woche seinen Hauptlieferanten für frische Pflanzenkost verloren: Die Supermarktkette Edeka hat sich bundesweit als Lebensmittelspender verabschiedet. Der Konzern will beim Spenden kein rechtliches Risiko eingehen und fürchtet mit einer seit Januar geltenden europäischen Lebensmittelverordnung in Konflikt zu geraten: Die Verordnung soll garantieren, dass der Weg der Nahrungsmittel vom Produzenten bis zum Endverbraucher jederzeit kontrollierbar ist.

„Leider ist der Edeka in Essen ausgesprochen wichtig für unser Lebensmittelangebot“, sagt Gisela Gallon von der Essener Tafel. „Gerade im Winter ist es schwierig, an Obst und Gemüse heranzukommen, da waren wir immer auf Edeka angewiesen.“

Die Tafel-Vereine, die inzwischen in fast hundert NRW-Städten arme Menschen versorgen, erhalten von Lebensmittelhändlern Ware, die wegen des nahenden Verfallsdatums nicht mehr im Regal verkauft wird. Diese Ware liefern sie zum Teil an andere gemeinnützige Einrichtungen wie Frauenhäuser oder Drogenhilfen und verteilen sie an zentralen Ausgabestellen an bedürftige MitbürgerInnen.

Nach der neuen Verordnung müssten die Tafeln zusammen mit den Filialleitern jedes gespendete Produkt genau dokumentieren. „Das ist viel bürokratischer Aufwand“, sagt Gisela Gallon. „Besonders bei den großen Supermärkten. Da konnten wir früher einfach hinfahren und die Paletten einladen.“ Edeka hat vorerst bundesweit die Spenden gestoppt. Die übrig gebliebenen Lebensmittel würden nun vernichtet, teilte das Unternehmen mit.

„Die Großen haben ja auch nur gespendet, weil wir billiger sind als die Biotonne“, sagt ein Mitarbeiter der Duisburger Tafel, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. „Wenn sich jetzt jemand mit unserem Papierkram beschäftigen muss, rechnet sich das für sie nicht mehr.“

Edeka sei zum Glück die einzige große Kette, die aufgrund der EU-Verordnung die Spenden eingestellt habe, sagt die Vorsitzende des Bundesverbandes der Tafeln, Gerda Hohaus. „Die meisten unserer Tafeln verfügen über 20 bis 40 Spender. Da fällt ein Supermarkt nicht so stark ins Gewicht.“ Der Verband hat sich mit dem Problem an das Bundesverbraucherschutzministerium in Berlin gewandt. Das bemühe sich um eine unbürokratische Regelung, die beiden Seiten entgegenkommt, so Hohaus. Der Verband hat bereits Lieferscheine entwickelt, in denen die Spender pauschal und unkompliziert ihre Spenden eintragen können. Edeka gebe sich damit aber bislang nicht zufrieden, berichtet Hohaus. Das Unternehmen fordere Rechtssicherheit aus Brüssel.

Die Wuppertaler Tafel – mit mehr als 1.500 täglichen Essenportionen die größte Tafel der Region – arbeitet schon seit Jahren mit ähnlichen Papieren. „Wir haben nichts wegen der neuen Verordnung verändert“, sagt Wolfgang Nielsen. „Ob unsere Arbeitsweise europarechtlich zu hundert Prozent korrekt ist, wissen wir nicht. Sie wird auf jeden von den städtischen Behörden mitgetragen.“

In zahlreichen Kommunen sind jedoch Spender abgesprungen. „Unser Käselieferant ist weg“, sagt Heike Vongehr von der Düsseldorfer Tafel. „Hoffentlich bleibt das ein Einzelfall. Hier stehen nämlich täglich mehr Menschen, die auf unser Nahrungsangebot angewiesen sind.“