Kurzsichtiger Eifer

Rücktritte, Rauswürfe und Rufmord: Mit einer seltsamen Mischung aus Courage und Trotz kämpfen die US-Medien um ihre Glaubwürdigkeit

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Am gestrigen Dienstag gab der Sender CBS den Rücktritt seiner stellvertretenden Nachrichtenchefin Betsy West bekannt. West tritt nicht wirklich freiwillig zurück, sondern übernimmt damit die Verantwortung für einem im September 2004 gesendeten Beitrag, der kurz vor den Wahlen nachweisen wollte, dass George W. Bush sich vor dem Militärdienst gedrückt hatte. Der Beitrag, ausgestrahlt vom renommierten Polit-Magazin „60 Minutes“ hatte für Aufsehen gesorgt – und kann als Beispiel für den Übereifer gelten, mit dem die US-Medien zurzeit ihrem schlechten Ruf begegnen.

Denn während sich die US-Presse in der ersten Amtszeit von Präsident Bush, vor allem nach dem 11. September, den Vorwurf gefallen lassen musste, Hofberichterstattung betrieben und nüchtern-kritischen Journalismus einem falsch verstandenen Patriotismus geopfert zu haben, geben sich viele Medien mittlerweile geläutert.

Harsche Selbstkritik

Auch wenn TV-Networks wie NBC oder Kabelkanäle wie CNN und FoxNews die nötige Distanz zur Regierung weiterhin vermissen lassen, haben sich Zeitungen wie die New York Times und Washington Post sogar für die Vernachlässigung journalistischer Pflichten bei ihren Lesern entschuldigt und Besserung gelobt.

Zugleich aber schossen manche Medien übers Ziel hinaus, wie das eingangs erwähnte CBS-Beispiel zeigt. Denn die von „60 Minutes“ ausgegrabenen Dokumente über Bushs Militärzeit erwiesen sich als zweifelhaft. Ein anschließend eingesetzter unabhängiger Untersuchungsausschuss kam zu dem Schluss, die Programmmacher hätten in „kurzsichtigem Eifer“ gehandelt, nicht mehr bemüht um eine akurate und faire Berichterstattung. CBS übte sich daraufhin in ungewöhnlicher harscher Selbstkritik, feuerte im Januar eine zuständige Redakteurin und drängte neben Betsy West auch zwei weitere Kollegen zum Rücktritt, während die verantwortlichen Chefredakteure bei CBS bislang ungeschoren davonkamen …

Ein anderes Beispiel für die seltsame Mischung aus Courage und Defensive ist die Kontroverse um den jüngst zurückgetretenen CNN-Nachrichtenchef Eason Jordan. Dieser hatte sich während einer Diskussionsveranstaltung beim Weltwirtschaftsforum in der Schweiz zu im Irak getöteten Journalisten geäußert. Seine Kommentare wurden anschließend so gedeutet, dass es offizielle US-Militärpolitik gewesen sei, gezielt unbequeme Journalisten auszuschalten. Obwohl sich nur schwer rekonstruieren lässt, was er tatsächlich gesagt hat, wurde der Druck vor allem von konservativen Internet-Bloggern auf den Sender so groß, dass CNN ihn schließlich zum Rücktritt drängte. In der aufgeladenen politischen Atmosphäre hatte Jordan keine Chance, sich zu verteidigen oder seine Bemerkungen klarzustellen.

Ins Gesicht gespuckt

Immerhin sind die großen nationalen Zeitungen wieder viel frecher und bohrender geworden und mahnen, wie jüngst die Washington Post, „die gleichen Fehler im Iran nicht noch einmal zu wiederholen“. In Bezug auf Ägypten forderte vor wenigen Tagen die Los Angeles Times, der Präsident dürfe sich nicht länger von Kairo ins Gesicht spucken lassen. Und der konservative Kommentator William Safire zeigte sich wiederum in der New York Times „bestürzt“ über das Bush-Putin-Treffen: Angesichts des dramatischen Demokratiedefizits sei es Zeit für deutliche Worte.

Doch wenn die US-Presse Bushs Politik nun fast täglich einem harten Realitäts-Check unterzieht, geschieht das nicht ganz uneigennützig: Ein zweites Versagen wie im Irak können oder wollen sie sich nicht leisten – nicht zuletzt um zu verhindern, dass die Leser wieder in Scharen zu den Onlineausgaben britischer Blätter abwandern.