Jemens Wege gegen den Terror

Das Land auf der Arabischen Halbinsel kämpft wirtschaftlich und politisch ums Überleben. Bundeskanzler Schröder soll mit seinem Besuch das Vertrauen des Westens wiederherstellen

AUS SANAA KRISTIN HELBERG

Wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder heute jemenitischen Boden betritt, liegt der anstrengende Teil seiner Arabien-Reise hinter ihm. In Sanaa wird er durch die malerische Altstadt bummeln, sich über eine mit deutscher Hilfe renovierte Karawanserei freuen und eine Fotoausstellung eröffnen. Ansonsten gibt es für den Kanzler im Jemen nicht viel zu tun. Die politischen Beziehungen sind freundschaftlich, für die Privatwirtschaft ist der Jemen wenig interessant, die Entwicklungszusammenarbeit läuft seit 30 Jahren intensiv. Schröders Abstecher ist deshalb vor allem eine Geste: Deutschland steht dem Jemen zur Seite, auch in schweren Zeiten.

Und die Zeiten sind schwer in Sanaa. Obwohl es seit zwei Jahren weder Anschläge noch Entführungen gegeben hat, gilt das Land mit der einzige Mehrparteiendemokratie der arabischen Welt nach wie vor als Sammelbecken für Terroristen. Zu verdanken hat es diesen schlechten Ruf vor allem zwei Anschlägen: im Oktober 2000 auf das amerikanische Kriegsschiff „USS-Cole“ und im Oktober 2002 auf den französischen Öltanker „Limbourg“. Die Drahtzieher und Hauptverdächtigen wurden zum Tode verurteilt. Hunderte angebliche Terroristen und Al-Qaida-Anhänger sitzen in jemenitischen Sicherheitsgefängnissen – ohne Anklage, ohne Prozess.

„Wir hatten keine andere Wahl als sofort und hart durchzugreifen“, sagt Hisham Sharaf Abdalla, Staatssekretär im Ministerium für Planung und internationale Kooperation. Das Land habe unter den Anschlägen furchtbar gelitten. Der Hafen von Aden, gerade zur Freihandelszone ausgebaut, wirkt wie verlassen, die Touristen blieben aus. Der Jemen zählt zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt und ist extrem abhängig von der Hilfe anderer.

Mit 40 Millionen Euro jährlich zählt die Bundesrepublik zu den wichtigsten Geldgebern. Über 50 deutsche Experten und Entwicklungshelfer arbeiten im ganzen Land und helfen den Jemeniten damit bei der Lösung ihrer größten Probleme: Das Land leidet unter extremem Wassermangel, die Hälfte der Jemeniten können weder lesen noch schreiben, die durchschnittliche Lebenserwartung liegt aufgrund hoher Kindersterblichkeit bei 50 Jahren und ein Drittel der Bevölkerung ist arbeitslos.

In solchen Lebensverhältnissen gedeiht Fundamentalismus, die meisten der inhaftierten Islamisten stammen aus armen Familien. Im Jemen besteht der Kampf gegen den Terrorismus deshalb auch aus Projekten wie dem in Sirwah, 130 km östlich von Sanaa. Dort graben deutsche Archäologen in Zusammenarbeit mit der jemenitischen Antikenverwaltung seit drei Jahren eine sabäische Stadt aus dem 8. Jahrhundert vor der Zeitenwende aus. Vier Monate im Jahr beschäftigen die Deutschen über 100 Einheimische als Hilfsarbeiter und bilden junge Leute aus: in Steinmetz- und Mörtelarbeiten, Gerüstbau, Vermessungstechnik und Ausgrabungsmethoden. Archäologe Holger Hitgen lernt zurzeit 14 Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren an. „Den jungen Leuten eine Perspektive zu bieten ist eine gute Sache, ein Schutz vor Radikalisierung.“

Altersgenossen, die bereits in die Fänge der al-Qaida oder anderer Gruppen geraten sind und deshalb „vorsorglich“ im Gefängnis sitzen, bekommen im Jemen eine andere, außergewöhnliche Chance. In einem theologischen Dialogprogramm können sie ihre religiösen Ansichten mit Gelehrten diskutieren. Zeigen sie sich einsichtig und schwören ihren extremistischen Positionen ab, kommen sie auf Bewährung frei. 364 Inhaftierte seien auf diese Weise bereits aus dem Gefängnis entlassen worden, sagt Hamoud al-Hitar, der Leiter des Dialogprogrammes. „Alle Terroranschläge basieren auf einer Ideologie“, so al-Hitar. Eine Ideologie mit Gewalt zu bekämpfen, verstärke diese nur, das Einzige, was helfe, sei der Dialog. Gelehrte und Gefangene diskutieren über ihr Islamverständnis, dabei argumentieren beide Seiten mit Koran und Sunna. Al-Hitars Leute bekämpfen die Extremisten also mit ihren eigenen Waffen.

Nach anfänglicher Skepsis stößt das Experiment nun auch in Europa auf Interesse. In Großbritannien und Frankreich hat al-Hitar bereits von seinen Dialog-Erfahrungen berichtet. Morgen wird sich Schröder mit dem Richter treffen. Beim Umgang mit Islamisten könnte die Entwicklungsarbeit dann mal andersherum laufen: Die Deutschen lernen von den Jemeniten.