zedernrevolution
: Hoffnungsträger Libanon

Das Szenario steht, die Kampagne läuft – und ihr wohlfeiles Label stammt direkt aus dem US-Außenministerium: Zedernrevolution. Nach der samtenen in Prag, der orangenen in Kiew nun die baumstarke und bibelträchtige Zedernrevolution in Beirut. Die Demokratie ist auf dem Vormarsch, selbst im despotisch regierten Orient. Dass sie von US-Gnaden ist, mildert die Freude darüber nicht.

KOMMENTARVON GEORG BALTISSEN

Wenn Drusen, Schiiten, Maroniten und Sunniten – um nur die Wichtigsten zu nennen – eine libanesische Front bilden, die die blutigen Gemetzel und Sektierereien der Vergangenheit überwindet, das Ende der syrischen Dominanz im Lande fordert und Freiheit und Demokratie auf ihre Fahnen schreibt, kündigt sich im Libanon der Beginn einer epochalen Wende an. Die friedlichen Demonstrationen, die gleich in der ersten Runde den Rücktritt der prosyrischen Quisling-Regierung erzwungen haben, sprechen für einen tiefen Bewusstseins- und Wertewandel.

Der Patriarchalismus der arabischen Stammeswirtschaften, ihre korruptöse Clan- und Klientelwirtschaft, die unfähige, aber geldgierige Zivil- und Militärbürokratie, all das steht zur Disposition. Das alte Regime wird nicht nur von ein paar Intellektuellen in seiner historischen Absurdität bloßgestellt, sondern von zehntausenden Demonstranten aller Schichten und Religionen, jeden Alters und Geschlechts.

Doch Gemach. Die friedliche Revolte im Libanon hat noch längst nicht gesiegt. Bislang steht sie erst an ihrem Anfang. Nur mit viel Geschick und internationaler Unterstützung wird es gelingen, die syrischen Truppen zum Abzug zu zwingen und einen Demokratisierungsprozess einzuleiten. Eines aber bleibt großartig: Die libanesische Revolte hat der Welt eine Ahnung davon geschenkt, wie die Zukunft Arabiens auch vorstellbar ist, ohne blutrünstigen Islamismus, despotischen Dynastismus oder fanatischen Terrorismus.

Die Libanesen haben sich selbst zum Hoffnungsträger der arabischen Welt gemacht. Sie haben die berechtigte Erwartung geweckt, die korrupte Herrschaft im Libanon und die militär-despotische in Syrien zum Einsturz bringen zu können. Die Regime werden sich wehren. Aber ihre historischen Aussichten waren in den vergangenen drei Jahrzehnten nie schlechter. Das ist ein erfreuliches Nebenprodukt einer in sich widersprüchlichen, aber eben nicht wirkungslosen US-Politik in der Region.

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