Nicht jeder Täter ist heilbar

500 Experten diskutieren auf einem Kongress in Eickelborn, wie Forensik-Patienten am besten zu behandeln sind. Auch die Erkenntnis, dass einige Störungen nicht zu heilen sind, ist neu

AUS EICKELBORNHUBERTUS GÄRTNER

Die Pressemitteilungen von NRW-Gesundheitsministerin Birgit Fischer (SPD) verheißen immer nur Gutes. Sogar beim Maßregelvollzug. „Wir sind dem Ziel einer entspannteren Belegungssituation wieder einen großen Schritt näher gekommen“, teilte die Ministerin kürzlich mit, als in Dortmund-Aplerbeck das Richtfest für eine neue forensische Klinik gefeiert wurde. Wie in Dortmund, so sollen auch in Duisburg, Essen, Köln, Herne und Münster neue Einrichtungen für insgesamt 468 psychisch kranke Straftäter gebaut werden. Fischer sieht die gröbsten Probleme damit aus dem Weg geräumt.

Unter Wissenschaftlern hält sich aber eine gewisse Skepsis, ob die „aller Orten bestehende Überbelegung“ der Maßregelvollzugs-Kliniken tatsächlich bald ein Ende hat. Denn „nach wie vor bestimmen steigende Einweisungszahlen und verlängerte Verweildauern die Entwicklung“, heißt es im Vorwort zur dreitägigen „Eickelborner Fachtagung zu Fragen der Forensischen Psychiatrie“, die gestern begann. Der Kongress, an dem mehr als 500 Gäste aus dem In- und Ausland teilnehmen, findet schon zum 20. Mal statt. Etwa 50 Ärzte, Psychologen, Juristen und Wissenschaftler treten als Referenten auf.

„Wir wollen ein breites Spektrum abdecken“, sagt Nahlah Saimeh. Die 38-jährige ist seit vergangenem Jahr Ärztliche Direktorin in Lippstadt-Eickelborn, wo derzeit auf 301 Behandlungsplätzen noch 351 Patienten untergebracht sind. Saimeh wagt keine klare Prognose. Auch sie weiß, dass immer mehr kranke Straftäter von den Gerichten in die Forensiken eingewiesen werden und dass dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung Rechnung getragen werden muss. Andererseits hat sie aber einen anderen Trend festgestellt: „Gutachter sind nicht mehr so schnell bereit, bei Straftätern psychisch relevante Störungen zu diagnostizieren.“ Sind diese voll schuldfähig, werden sie in normalen Gefängnissen untergebracht.

Das Fachgebiet der so genannten Forensik sei nicht mehr das Schlusslicht in der Psychiatrie, sondern es habe in den letzten zehn Jahren eine rasante Entwicklung durchgemacht, sagt Saimeh. Ein Problem sei, dass psychisch kranke Straftätern noch „zu unspezifisch“ therapiert werden. Jeder erhalte „im Prinzip das Gleiche“. Ziel müsse es sein, die Therapie in Zukunft noch delikt- und störungsspezifischer auf den jeweiligen Patienten zuzuschneiden. Das Motto der Eickelborner Fachtagung lautet daher „Was wirkt? Prävention – Behandlung – Rehabilitation“.

Die Entwicklung im Maßregelvollzug führt seit geraumer Zeit hin zu mehr Differenzierung. Herrschte in früheren Jahren der feste Glaube daran, jeder psychisch kranke Täter sei therapierbar, so glauben die Fachärzte inzwischen, dass es für manche auf absehbare Zeit keine Heilung gibt. Mit derzeitigen Methoden nicht therapierbar sind beispielsweise Personen mit narzistisch-dissozialen Persönlichkeitsstörungen sowie Patienten, die sadistisch veranlagt sind und schwere sexuell-motivierte Straftaten begangen haben. Diese Langzeitpatienten werden in NRW seit einigen Monaten auf besonderen Stationen untergebracht, wo sie nicht mehr behandelt werden. Die Klinik in Eickelborn wurde auf diese Weise um 72 Patienten entlastet, die sich nun in einer Übergangsklinik in Rheine befinden.

Nahlah Saimeh verteidigt das Konzept. Menschen, die im Maßregelvollzug „therapiemüde“ geworden seien oder die „alles schlecht“ redeten, würden Therapieerfolge der übrigen Klienten negativ beeinflussen. Ein separater Lebensraum ohne Therapiedruck mit Arbeitsmöglichkeiten und einem strukturierten Tagesablauf sei für diese Patienten sinnvoll. Es müsse aber möglich bleiben, dass sie eines Tages in den normalen therapeutischen Prozess zurückverlegt würden.

Nicht jedes brutal-kriminelle Vorgehen sollte psychiatrisiert werden, sagt Saimeh. Sie deutet an, dass sie einige der „extrem gefährlichen“ Patienten lieber in irgendeinem Gefängnis als in ihrer ebenfalls hoch gesicherten Maßregelvollzugsklinik untergebracht sehen würde. Für diese so genannten „High-Risk-Patienten“ wird in Eickelborn derzeit „eine kleine Station mit zehn Plätzen“ eingerichtet. Die Differenzierung im Maßregelvollzug findet so ihre Fortsetzung. Irgendwo müssen schließlich auch jene bleiben, die wirklich niemand haben will.