DER NEUE VORSTOSS IN DER SPD ZUR BÜRGERVERSICHERUNG IST RICHTIG
: Klassenschicksal Pflegebedürftigkeit

Weil die Pflegeversicherung erst nach der Bundestagswahl kollabiert, legte Rot-Grün seine Reform ad acta. Doch allein in den nächsten fünf Jahren kommen zu den heute knapp 2 Millionen Pflegebedürftigen rund 400.000 hinzu. Notwendig ist deshalb eine Reform der Pflege- zur Bürgerversicherung.

Bislang setzt man von Grün bis Schwarz primär auf eine Reform mittels privater Versicherungen. Fraglos gehört Pflegebedürftigkeit im Alter zu den normalen Lebensrisiken, für die eine Eigenvorsorge zu treffen ist. Zumal sich ein Großteil des Vermögens in Händen der über 65-Jährigen konzentriert. Doch jene Bevölkerungsschichten, die die geringsten Chancen haben, finanziell vorzusorgen, sind künftig im Alter mit der höchsten Wahrscheinlichkeit auf Pflege angewiesen. Mit der gesellschaftlichen Alterung steigt nämlich nicht pauschal der Pflegebedarf. Vielmehr gruppiert er sich nach sozialen Merkmalen neu: Wer in jungen Jahren gesundheitsbewusst lebt und das Repertoire an kostenintensiver medizinischer Vorsorge ausschöpft, der muss gewonnene Lebensjahre nicht in Siechtum verbringen. Lang andauernde Pflegebedürftigkeit wird vielmehr zum neuen Klassenschicksal Ärmerer, die schon in jungen Jahren häufiger krank sind, seltener Vorsorgemedizin nutzen und sich nicht ausreichend versichern können. Wer die Pflege privatisiert, mindert den Schutz derjenigen, die ihn am dringendsten benötigen.

Die ursprüngliche Idee einer Bürgerversicherung (die durch Einbeziehung eines Mindestbeitrages für alle Erwachsenen den sinnvollen Ansatz der CDU-„Kopfpauschale“ integrieren kann) setzt demgegenüber auf ein soziales Band, zu dem alle Bürger entsprechend ihrer realen Einkommen beitragen. Zwar soll die „Bürgerversicherung“ ein rot-grüner Wahlkampfhit werden. Tatsächlich verwässerte man das Konzept jedoch bis zur Unkenntlichkeit, indem Beamte und weitere Privatversicherte in Sondersystemen verbleiben, Betuchte nicht genügend herangezogen werden und man gleichzeitig notwendige Schutzgarantien für den Pflegefall privatisiert. HARRY KUNZ