Allgemeinwohl hat eine tolle Quote

Der WDR-Rundfunkrat feierte sein 50-jähriges Bestehen. Die Landesspitze blieb der Veranstaltung fern. So klopften sich WDR und ARD für Regionalisierung und Orientierung am Massengeschmack kräftig auf ihre männlichen Schultern

DÜSSELDORF taz ■ Der eigentlich als Festredner vorgesehene ehemalige Ministerpräsident Johannes Rau ließ sich wegen einer Krankheit entschuldigen. Über den amtierenden SPD-Regierungschef Peer Steinbrück wurde dezent geschwiegen. Beim 50-jährigen Bestehen des WDR-Rundfunkrates ging es halt um höhere Werte: „Der Allgemeinheit verpflichtet“ lautete das Motto der Festveranstaltung am Mittwoch Abend. Und so mussten auch die Animositäten zwischen NRW-Staatskanzlei und WDR hinter dem hehren Leitmotiv zurück treten.

Der WDR-Intendant Fritz Pleitgen sagte zur taz, dass er sich mittlerweile mit Steinbrück getroffen habe. Es sei ein „gründliches und nützliches Gespräch“ gewesen. Folgerichtig wurde auf der Festveranstaltung am Mittwoch auf scharfe Töne gegen die Landesregierung verzichtet. Rundfunkratschef Reinhard Grätz meinte, wegen des anstehenden Landtagswahlkampfes solle auf „zu große Nähe“ verzichtet werden. Entsprechend blieben Angehörige der Landesregierung der Veranstaltung fern. Eine Vertretung etwa durch Medienstaatssekretärin Miriam Meckel hätte womöglich die zwischen Pleitgen und Steinbrück erreichte Entspannung wieder unnötig gefährdet.

Auf den Jubiläums-Podien erging man sich in ermüdendem Selbstlob: Die in den 80er Jahren eingeleitete Regionalisierung der WDR-Programme wurde ausgiebig abgefeiert. Ex-Intendant Friedrich-Wilhelm von Sell rezitierte den früheren SPD-Ministerpräsidenten Heinz Kühn mit dem Spruch: „In der Provinz sitzt das Gesäß; der Kopf sitzt im Rheinland.“ Für das Wort „Gesäß“ habe Kühn allerdings einen anderen Begriff benutzt. Daran habe sich der WDR nicht gehalten, denn es sei darum gegangen, „schon da zu sein, wenn die Privaten kommen“.

Tatsächlich erzielen heute die Regionalfenster des WDR mit rund zwanzig Prozent die höchsten Einschaltquoten. Das private tv-nrw dümpelt dagegen publizistisch unbeachtet und mit großen ökonomischen Problemen dahin. Regionalfenster bei RTL und Sat1 werden von diesen eher als Störung ihres Programmflusses („Audience flow“) betrachtet. Doch auch an den WDR-Regionalfenstern gibt es inhaltliche Kritik: So mancher Studioleiter wolle die morgendlichen Themen der Bild-Zeitung abends verfilmt wissen. Doch selbstsicher kontert der WDR das mit den tollen Quoten als Totschlagargument.

Auf die Quoten zog sich auch ARD-Programmdirektor Günther Struve zurück. Er beklagte, wenn es nach den gewählten Mitgliedern der ARD-Gremien ginge, gäbe es „nur noch Programme aus Arte, 3sat, Phoenix und Kinderkanal“. Er selbst würde nicht danach entscheiden, was er selbst gerne sehe: Das Publikum sieht also lieber, was Struve selbst für Mist hält, der Programmmacher hält sein Publikum demnach für blöd und so sieht sein Programm vor 23 Uhr oft auch aus.

Zwar hat die ARD aktuell sogar RTL in den Einschaltquoten abgehängt. Neidisch ist sie aber, dass sie bei der „werberelevanten Zielgruppe“ der 14- bis 49-jährigen immer noch weit zurückliegt. Ein Blick in die Festveranstaltung gab einen Hinweis: Einzig das dort exzellent aufspielende Jugend-Jazz-Orchester NRW bestand aus Mitgliedern dieser Zielgruppe. Auch beim Frauenanteil übertraf das Orchester die Veranstalter. Auf dem Podium betrug er nur 20 Prozent. Über die im WDR-Gesetz vorgesehene Frauenquotierung für den Rundfunkrat wird ebenfalls bis heute großzügig hinweggesehen. Es reicht ja, wenn männliche Programmmacher über „frauenaffine Stoffe“ zu schwadronieren verstehen. MARTIN BÖTTGER