ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL
: GOTT wird Weltmeister

Bitte lesen Sie diesen Text kniend. Denn hier spricht der HERR

Neulich hatte ich einen Tag frei. So richtig frei. Alle Lieben waren verreist. Alle Blöden abgewimmelt. Alle Artikel geschrieben. Als ich um elf Uhr morgens aufwachte, lag frischer Schnee und die Sonne schien. Ein herrlicher Tag, um etwas Neues zu beginnen: Ein Buch zu lesen. Oder sogar ein Buch zu schreiben. Eine neue Sprache zu lernen. Chinesisch vielleicht. Tatendurstig kochte ich mir erst mal einen Kaffee. Dann ging ich an meinen Computer und schob die CD „Soccer Simulation 1998“ ins Laufwerk.

Da materialisierte sich GOTT neben mir:

– „Du bist mein Geschöpf, das ich nach meinem Bilde geformt habe. Und dieser Tag ist ein Geschenk von mir: Willst du ihn wirklich am Computer verdaddeln?“

Mann, habe ich mich erschrocken. Aber GOTT sah gar nicht so zornig aus, wie er klang. Er hatte die klassische Erscheinung gewählt: So wie ein alter, weißbärtiger Hippie, der heute mit einem Umzugsunternehmen viel Geld verdient. Eigentlich ganz okay. Ich meine, GOTT hätte auch als brennender Dornbusch mein Arbeitszimmer versengen können.

– „Grundgütiger, das Zocken war doch nur zum Wachwerden gedacht.Trinkst du einen Kaffee mit?“ Das tat GOTT. Mit fünf Löffeln Zucker. Angst um seine Figur hatte er wohl nicht. Rasch wurde er konziliant und zeigte auf den Bildschirm:

– „Was ist das eigentlich, womit du deine von mir geschenkte Zeit verschwendest?“

– „Och, nur ein altes Fußballspiel. Man wählt eine beliebige Mannschaft aus und tritt in der Champions League an oder bei der Weltmeisterschaft.“

– „Darf ich es auch einmal versuchen?“, fragte GOTT.

Äußerlich blieb ich ruhig, aber innerlich war ich aufgewühlt: GOTT spielte Computer! Wenn das meine Mutter wüsste! Für welches Team würde sich der HERR entscheiden? Für El Salvador? Oder den AS Rom? Andererseits, GOTT findet man immer dort, wo Not und Elend am größten sind: Also Borussia Dortmund? Nein, GOTT erwählte Israel. Natürlich.

Am Anfang ging GOTT ziemlich ein. Er war augenscheinlich nicht geübt im Computerfußball, aber ich zeigte ihm, wie man effektiv foult, und er wurde immer besser. Und: Die Verletzten in seinem Team wurden wie durch ein Wunder vor wichtigen Spielen wieder fit.

GOTT war auf den Geschmack gekommen. Jetzt wollte er Weltmeister werden.

– „Das klappt nie mit Israel“, wandte ich ein. „Weißt Du, HERR, Dein Volk ist im Fußball nicht wirklich eine Macht.“ Da wurde GOTT zornig und donnerte mich an:

– „Du Kleingläubiger. Ich habe mein Volk aus dem Sklavenhaus Ägypten geführt. Da werde ich es doch noch ins Finale führen können.“

Er hat es tatsächlich geschafft – nach sieben Versuchen. Zwischenzeitlich wurde mir ein wenig langweilig:

– „Ich habe nur noch einen Brotkanten und ein angebrochenes Glas Rollmöpse im Kühlschrank“, maulte ich.

– „Wenn ich das teile, reicht es für uns beide und es bleibt noch etwas übrig“, meinte Gott, „aber warum bestellst du nicht einfach eine Pizza?“

Während wir aßen, erwachte der investigative Journalist in mir: Doch GOTT packte nicht aus, ob der nächste Papst wirklich ein Deutscher sein wird und ob George W. Bush das Tier aus der Apokalypse ist. GOTT wollte nicht reden, sondern zocken.

Die Sonne war längst untergegangen, da schlug der HERR Brasilien im Finale 3 zu 2. Er hatte allerdings in der 90. Minute einen sehr zweifelhaften Elfer bekommen.

– „Du kannst doch Blinde sehen machen, nicht wahr? Dann fang doch mit diesem Schiri an!“, nörgelte ich, doch GOTT lachte nur:

– „Hast du noch andere Computerspiele hier, mein Sohn?“

Ich wollte ihn endlich loswerden und suchte deshalb ein besonders abschreckendes Spiel heraus:

– „Hier, HERR: ,Warcraft – Reign of Chaos“. Ein Massaker im Fantasy-Stil. Untote und Orks überfallen Elben und Menschen.“

– „Super“, sagte GOTT: „Ich spiele die Untoten.“

Fotohinweis: ROBIN ALEXANDER Dem Autor vergeben? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried CHARTS