„Der Wind hat sich gedreht“

BEWEGLICHES INTERFACE Holger Kube Ventura, der neue Leiter des Kunstvereins Frankfurt am Main, will in alle Richtungen offen sein

■ 1966 in Dreieich geboren, studierte von 1987 bis 1994 Kunst, Anglistik, Kunst- und Erziehungswissenschaft an der Universität Kassel, wo er 2001 promovierte. Seit 1994 arbeitete er als freier Kurator, 2001 bis 2003 war er künstlerischer Leiter und Geschäftsführer der Werkleitz Gesellschaft e.V. in Halle und leitete die 5. Werkleitz Biennale (2002). Von 2004 bis 2009 Programm- und Projektkoordinator bei der Kulturstiftung des Bundes in Halle (Saale).

INTERVIEW HORTENSE PISANO

taz: Herr Kube Ventura, In Ihrer Antrittsrede nannten Sie den Frankfurter Kunstverein einen „Allrounder“, der als „bewegliches Interface zwischen Freien Projekten, Off-Orten, Galerien, Kunsthäusern, Kunstmuseen und dem Kunstmarkt“ agieren soll. Was soll man sich darunter vorstellen?

Holger Kube Ventura: Den Frankfurter Kunstverein als Interface zwischen den ortsansässigen Kunsthäusern zu definieren, bedeutet für mich, die Hände in alle Richtungen auszustrecken, auch in Richtung regionaler Atelierhäuser und die freien Gruppen stärker einzubeziehen. Gleichzeitig möchte ich einmal pro Jahr eine größere Themenausstellung kuratieren, die bundesweit Aufmerksamkeit erregt und zu der Besucher eigens nach Frankfurt reisen – das hat es meines Wissens in den letzten Jahren nicht gegeben.

Nun melden sich aber schon die ersten Kritiker, die meinen, große Themenschauen, wie Sie sie planen, seien unzeitgemäß?

Diese Kritik kann ich nicht nachvollziehen. Es geht mir absolut nicht darum, die Welt in Form einer Ausstellung erklären zu wollen. Reden wir gleich von meiner ersten Themenausstellung, die am 9. Juli im Kunstverein eröffnen wird. Ihr Titel „Gemeinsam in die Zukunft“ spielt auf eine politische Floskel aus der Zeit der deutschen Wiedervereinigung an. Mit ähnlichen politischen Rhetoriken sind wir erneut im Superwahljahr 2009 bis zur Bundestagswahl im September konfrontiert. Viele Leute werden sich in Anbetracht der parteipolitischen Parolen fragen, was das „Wir“ in ihrem Leben eigentlich zu bedeuten hat? Die Kluft zwischen Kollektiv- und Einzelinteressen ist daher das Thema meiner Auftaktschau, die mit dreizehn Künstlern relativ groß besetzt sein wird und, wie ich finde, im besten Sinn eine Themenschau ist, insofern sie ein Zeitgeschehen auf der Straße aufgreift.

Planen Sie eine internationale Gruppenausstellung?

Nein, die meisten Künstler sind aus Deutschland. Was weniger an dem Umstand liegt, dass unser Superwahljahr ein deutsches Phänomen ist, vielmehr habe ich in der Kürze der Zeit praktisch denken müssen – aufwendige Projekte konnte ich keine produzieren lassen, dazu fehlen mir diesmal die finanziellen Mittel. Eingeladen habe ich Künstler wie die Fotografin Rabea Eipperle, die Berlinerin Michaela Schweiger oder das Kollektiv Reinigungsgesellschaft, deren Arbeiten ich zu diesem Thema kannte.

Inwieweit greift Ihre Ausstellung auf Ihre Studie „Politische Kunst Begriffe“ zurück?

In diesem Buch habe ich versucht, mehrere Fragen zu behandeln: Erstens die klassische Vorstellung von politischer Kunst und zweitens was sich in den 1990er-Jahren in den Institutionen abspielte: Welche Hoffnungen hat man sich dort auf eine Repolitisierung von Kunst gemacht und wie hat sich das geäußert? Man denke an die damals zahlreichen partizipatorischen Ausstellungen, die Besucher einluden Tee zu trinken oder Fußball zu spielen. Viele Kunstaktionen wurden meiner Meinung nach fälschlich als ein politisches Moment aufgefasst, nur weil sie zum aktiven Mitmachen aufforderten.

Kommen wir zu Ihrer Ausstellung zur politischen Rhetorik zurück. Was versuchen Sie vor dem Hintergrund Ihrer Studie anders zu machen?

Ich plane vorwiegend Foto- und Videokünstler auszustellen, die sich sowohl mit Bild- als auch mit Sprachrhetoriken des Überzeugens, Suggerierens oder Bestürmens beschäftigen. Bjørn Melhus gehört zu den bekanntesten Positionen, die wir zeigen. In seinem Video spielt er selbst einen US-amerikanischen Fernsehprediger, der eindringlich auf den Betrachter einredet und ihn beispielsweise vom Beten überzeugen will. Am Ende wird dieser Prediger in einer Feuersbrunst explodieren, was natürlich eine Art Himmelfahrt assoziiert. Melhus’ Video ist ein gutes Beispiel für die Suggestivkraft von Bild- und Sprachrhetoriken und wie sie parteiübergreifend funktionieren. Meist wird ja von den Inhalten abgelenkt zugunsten eines Nenners, dem man sich anschließen darf. Indem Melhus an der Grenze zwischen Karikatur und Entblößung arbeitet, werden diese Mechanismen sehr ersichtlich.

In Ihrer zweiten Ausstellung untersuchen Sie das Rollenverständnis, das sich zu jeder Zeit an Künstler geknüpft hat. Welche Rolle kommt dem Künstler aktuell zu?

Nach wie vor gibt es auch ganz traditionelle Vorstellungen vom Künstler als Genie, als Wahnsinniger, Hofnarr

Nach wie vor gibt es ja auch ganz traditionelle Vorstellungen vom Künstler als Genie, als Wahnsinniger, Randfigur der Gesellschaft oder der Hofnarr. Der erste Ausstellungspart beschäftigt sich im November mit diesen klassischen Rollenbildern, die fünf Künstler heute in ihren Werken widerspiegeln oder hinterfragen. Zu den neuen Rollenbildern zählen für mich der Künstler als Sozialarbeiter, eine Figur, die verstärkt in den 60ern aufkommt; oder nehmen Sie den Künstler als Unternehmer – durch Erscheinungen wie Murakami, Hirst oder Olafur Eliasson kommt ihm, um Ihre Frage zu beantworten, die aktuell gewiss wichtigste Künstlerrolle zu.

Die Wirtschaftskrise dürfte ein verändertes Rollenbild des Künstlers nach sich ziehen?

Ja, vor einem Jahr sah es noch ganz anderes aus. Im Mai 2008 konnte ein Kongress wie „Kunst Werte Gesellschaft“ danach fragen, wie sich die Wertmaßstäbe von Kunst ändern, wenn es nur noch um Geld geht, wenn die Medien nur noch von Rankings berichten und die privaten Häuser den öffentlichen den Rang ablaufen. In nur einem Jahr hat sich der Wind komplett gedreht …

Bevor Chus Martínez den Frankfurter Kunstverein vorzeitig verließ, beklagte sie die Finanzsituation des Hauses. Kulturdezernent Felix Semmelroth erhöhte daraufhin das Budget – wie lässt sich jetzt arbeiten?

Die Ökonomie für dieses Haus ist gewiss nicht einfach. 255.000 Euro stellt uns die Stadt Frankfurt zur Verfügung, und diese ganze Summe benötigen wir für das Personal. Zu 90 Prozent müssen die Ausstellungen aus Drittmitteln akquiriert werden. Die Auftaktschau müssen wir daher erst einmal aus dem Spartopf des Kunstvereins finanzieren.