Defizitäres Leben

Erfolgsautor und -regisseur René Pollesch findet in „Der okkulte Charme der Bourgeoisie“ im Malersaal des Schauspielhauses auch leise Töne

von Caroline Mansfeld

Im Film „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ von Louis Bunuel versucht eine Gaunerclique, sich bei einem feinen Gastmahl zu amüsieren. Vergeblich. Die Zusammenhänge von Kapital und Liebe sind so okkult, dass man sie einfach nicht sieht. „Der okkulte Charme der Bourgeoisie bei der Erzeugung von Reichtum“ heißt die neue Lehrstunde in Marx von Conférencier René Pollesch im Malersaal des Schauspielhauses. Dabei geht es um nicht weniger als „den globalen Charme der okkulten Ökonomie“. Und so düster Globalisierung und das neoliberale System auch wirken mögen – Pollesch gewinnt aus dem Destillat des Diskurses wieder einmal eine gigantische Party.

Die ging zur Uraufführung im Malersaal äußerst belebend über die Bühne. Das aus „Der Kandidat. Sie leben“ vertraute Trio – Catrin Striebeck, Bernd Moss und Caroline Peters – brüllt sich diesmal auf Pulverfässern an. Im Hintergrund der mit Kissen gespickten Bühnenlandschaft hat Janina Audick eine morsche Villenfassade errichtet. Dahinter spielen sich undurchsichtige bourgeoise Tauschgeschäfte ab. Geld gegen Liebe, Liebe gegen Geld. Vertrauen? „Erzähl das eBay“, schreit die Striebeck.

Passend zu seiner herabgewirtschafteten Bürgerlichkeit trägt das Trio diesmal halbseidenes Satin. Die hilflosen Blicke zur Souffleuse sind dabei Teil des Spiels. Und auch die trägt mittlerweile Paillettentop.

Die Pollesch‘schen Schreitiraden mit der bewährten „Scheiße“-Klimax am Ende sind auch in diesem Stück hochdurchdacht: Von der Schattenwirtschaft der Illegalen, auf die das System mittlerweile fest zählt, die „dynamisch am Straßenrand“ auf der Flucht sind, bis zur Endgarantie des neuen globalen Kaufhauses eBay reicht die Palette. Die im Geschäft getauschten Scheine hängen an riesigen Ebay-Ballons und drohen während der Vorstellung immer wieder davonzufliegen. Die Liebe ist sowieso auf den Hund gekommen und wird auf dem Altar einem riesigen goldenen Köter geopfert.

Und doch haben diese abgebrühten Figuren ein Gespür für ihr defizitäres Leben, eine Sehnsucht nach einer „Magie jenseits des Wahns der Realität“. „Es geht schon irgendwie um Liebe, aber wir bekämpfen uns dauernd, und da die Liebe das nicht zustande bringt, muss es der Kampf sein, der das Geld bringt“, kräht Striebeck. „Wie können wir je herausfinden, ob es sich bei der Scheiße von uns beiden um Liebe handelt?“

René Pollesch findet – anders als in seinen bisherigen Stücken – diesmal aber auch überraschend ruhige Momente: Der Liebestod von Tristan und Isolde wird von Caroline Peters im Käfig samt Hinrichtungsstuhl flüsternd zelebriert. Zwei silberne Totenköpfe drehen sich dabei wie Diskokugeln. Eine Handkamera fängt Gesichter der Zuschauer ein, doch es will sich einfach nichts erhellen, denn „der okkulte Charme ist so okkult, den sieht man einfach nicht.“

nächste Vorstellung: 19. 3., 20 Uhr, Malersaal des Schauspielhauses