Starkult mit Gras und Duftstäbchen

Fossy, der Tour Guide, führt Fans durch den Geburtsort Bob Marleys. Der in äthiopischem Marmor ruhende Musiker bringt ein paar Dollar mehr

„Ein guter Hirte war er, der dereinst auferstehen wird. Und wir sind die Schafe“

VON HANS-ULRICH DILLMANN

Am Ende der Dorfstraße, die sich auf die Anhöhe hinaufwindet, baut sich plötzlich ein halbes Dutzend Jugendlicher um das Fahrzeug auf. Der eine schiebt sich durch die halb heruntergelassene Scheibe rein: „Hey man, no problem. Ich zeigt dir, wo Bob beerdigt ist.“ Auf der Beifahrerseite versucht ein vielleicht 15-jähriger Junge mit Dreadlocks die verriegelte Tür aufzureißen: „Mann, ich bewach den Wagen. Hier kannst du parken.“

Nine Miles ist ein verschlafener Ort mit etwa 500 Einwohnern. Drei Dutzend eher ärmliche Häuser, eine schmale, schlecht asphaltierte Straße, die sich durch das kleine Dorf windet, ein vegetarisches Restaurant, vor dem ein Mann vergeblich auf Gäste wartet. Von Ocho Ríos aus, der nördlichen Hafenstadt Jamaikas, in der zur Hauptsaison täglich die Kreuzfahrtschiffe anlegen, dauert die Fahrt dorthin knapp eine Stunde.

Das wohl Auffälligste an Nine Miles ist die kleine rot, gelb und grün gestrichene Grundschule am Ortseingang. Ein Schild verweist auf die Cedella-Marley-Grundschule, benannt nach der Mutter des einzigen berühmten Sohnes dieser Einöde, Bob Marley. Kaum angekommen möchte man schon wieder umkehren. Zumal links fast hämisch ein Schild auf einer hohen Mauer verkündet: „Sie sind bereits am Eingang vorbeigefahren.“ – „Hey whity, give me some bucks.“

Auch Susanne Eid aus Leipzig haben die Jugendlichen vor dem Tor zum Geburtshaus von Bob Marley abgefangen. „Bob Marley ist für mich die Reggae-Legende number one.“

Zuerst wurde sie durch einen Garten gezerrt, in der sie ein paar banale Ganja-Marihuana-Pflanzen bewundern musste, deren Anbau illegal ist. Dann wurde ihr das Geburtshaus aus der Ferne gezeigt – die Mauer im Vordergrund inklusive. Und als sie dann endlich mit ihrem Mann durch das Eisentor das Marley-Memorial-Gelände betreten wollte, formierten sich die Jungs mit den filzigen Dreadlocks davor zum unüberwindlichen Hindernis. Wieder wechselten Dollars den Besitzer: „Nun haben wir draußen schon mal bezahlt, und wahrscheinlich bezahlen wir noch mal richtig, um das alles zu sehen von Bob Marley.“ Richtig vermutet: 15 Bucks, 15 US-Dollar kostet der Eintritt pro Person.

Jonathan empfängt die kleine Besuchergruppe im Fanshop. Die Zunge etwas schwer. Auf dem Gelände wächst das Rauschkraut wie zu Hause die Alpenveilchen auf dem Balkon. „Fossy“, so verrät der „Original Bob Marley Tour Guide“, nennen ihn die Besucher. Schlecht ausgesteuerte Reggaemusik beschallt das Bistro, vor dem Fossy zum ersten Mal Halt macht. „Hier hat Cedella Marley Booker am 6. Februar 1945 Baby Bob zur Welt gebracht“, erklärt ein Mann Ende fünfzig, der mit dem legendären Musiker in die Schule gegangen sein will, und zeigt auf ein Holzhaus mit roten Holzschindeln.

Gerade mal sechs Monate später zog die Mutter Cedella Marley, die heute 80 Jahre alt ist und sich in Äthiopien aufhält, dann aus dem Haus ihrer Eltern aus, um sich nur wenige Meter weiter auf einer Anhöhe anzusiedeln. Damals hieß der Fleck Sugar Hill, weil dort Rohrzuckerpflanzen standen. Heute wird der Hügel „Mount Zion“ genannt, weil hier einmal Bob Marley lebte. „Ein heiliger Ort“, sagt Fossy und singt atonal „Zion on the top“, eine Zeile aus einem Marley-Text.

Steil zieht sich ein Rasenweg auf den heiligen Zionshügel hoch. Hier treffen sich jedes Jahr tausende Rastafari-Jünger und Reggae-Fans, um den Geburtstag des 1981 in Miami an Krebs verstorbenen Musikers zu feiern.

„Bob lives“ – „Bob lebt“: Aus eingefärbten Steinen ist der Slogan in einem kleinen Garten auf dem Gelände geformt. Vor zehn Jahren haben die Tour Guides diese beiden Wörter anlässlich des zehnten Todestages geformt.

„Bob lebt“, so erklärt auch der frühere Schulkumpel aus Nine Miles, durch seine Musik, durch seine Botschaft von „Love and Peace“, durch die Liebe unter den Menschen, durch seine rebellischen Songs gegen Diskriminierung, Rassismus und Unterdrückung. „Rot steht für das Blut der Menschen. Das ist jedermann. Das bist du selbst. Gelb symbolisiert die Sonnenstrahlen, die Seele, die alle besitzen“, berichtet Fossy den wissend nickenden Zuhörern, „und Grün, ihr wisst schon, das ist Mutternatur, Mutter Erde, Mutter Afrika.“

Ein Großteil der über mehrere Hütten verteilten ehemaligen Wohnräume der Marleys ist erhalten geblieben. In einem kleinen Häuschen auf dem Gipfel des Hügels mit zwei Zimmern hat Bob Marley, der bereits mit 13 Jahren nach Trench Town, das Armenviertel in der Hauptstadt Kingston, umgezogen war, immer wieder ein Refugium gefunden, um zu meditieren, zu komponieren, zu texten und – damit die Besucher nicht ihre Klischees verlieren – „um zu kiffen“.

„Zieht eure Schuhe aus“, ordnet Fossy an. Die Gruppe steht vor dem Schlafzimmer des Reggaepoeten. Ein schmales Einzelbett aus Eisen, eine dünne Überdecke, an der Wand ein Plakat mit den Kindern, die er zusammen mit seiner Exfrau Rita hatte.

Wieder drängt es Fossy alias Jonathan mit rauer Stimme zum Reggaegesang: „I gonna love you. I'll treat you right. I gonna love you every day and night. We'll be together, with the roof over my head. We'll share the shelter of my single bed. We'll share the same room. It is love. It is love, it is love, it is love that I can feeling.“

Zeit über die Virilität des mit 36 Jahren Gestorbenen zu berichten. „Elf Kinder hat er offiziell gehabt“, bilanziert der Fremdenführer. Vier davon offiziell mit Rita Marley. „Aber Bob ist in 52 Ländern gewesen. Dort war es öfters kalt, und so schätzen wir, dass er bestimmt auch dort Kinder gezeugt hat – also 52 oder mehr.“ So werden Macho-Mythen gestrickt und immer wieder fortgeschrieben.

Neben dem Wohnhaus befindet sich ein Stein, der sich keck glänzend in den Rastafarben bepinselt aus dem Beton herausstreckt. Hier soll Marley manche Nacht kiffend verbracht haben. „Der Stein war mein Kopfkissen, singt Bob schon in ‚Talking Blues‘ “, berichtet Fossy und drängt die Gruppe langsam auf den Raum zu dem Nebengebäude hin, einer kleinen Kapelle. Wieder müssen die Schuhe ausgezogen werden, bevor die Eisentür quietschend ins Schloss fällt. „Keine Fotos! Habt ihr verstanden: keine Fotos! Wie auch immer“, verfügt Fossy drohend. Dann zieht das Mausoleum die Gruppe in ihren Bann.

Etwa 2,5 mal 3 mal 1,5 Meter groß ist der Sarkophag. Bob Marley ist in weißem blank poliertem Bruchmarmor aus Äthiopien eingemauert. Es riecht nach Räucherstäbchen und nach „Gras“ in dem Raum. Links befindet sich eine überdimensionale Bronzebüste. Vor dem Grab die aufgeschlagene Bibel des Erfolgskomponisten und -musikers. Ein Buntglasfenster in Form eines Magen David, eines Davidsterns, befindet sich an der östlichen Stirnseite des kleinen Mausoleums. „Bobs Kopf liegt im Westen“, sagt Fossy, „so kann er morgens die aufgehende Sonne sehen.“ Ein guter Hirte sei er gewesen, der dereinst auferstehen werde, verrät Fossy/Jonathan. „Und wir sind die Schafe.“ Am Ausgang von Mount Zion erinnert ein Schild: „Denkt an das Trinkgeld“. Das wird sich hier vermutlich ganz schnell in Rauch auflösen.

Es beginnt nieselnd zu regnen. Gleichzeitig scheint die Sonne. Und wie in einem Kitschfilm bildet sich plötzlich ein halber Regenbogen über den Anhöhen von Nine Miles. „Hey man, willst du kein Souvenir kaufen?“, ruft der Verkäufer des Besucherzentrums auch noch fragend dem Besucher nach, der tief Luft holend versucht, diesen Pilgerort der Rastafaris und Reggaefans mit seinem Mietfahrzeug schnellstens zu verlassen. Enough is enough. „No problem man.“