WEDDINGGÄNGE
: Tote Schnecken

Bloß nicht hinsehen, weitergehen

Krks. Es ist ein feines Geräusch, ein Knacken oder Knirschen, und sofort ist da dieses unnatürliche Gefühl des Nachgebens unter dem Schuh. Das feine Aufstellen der Nackenhärchen. Kurzer Blick, das war kein Stein. Eine Schnecke. Eine gelb-schwarz gestreifte. Scheiße.

Bloß nicht hinsehen, weitergehen. Oder doch umkehren? Noch mal draufsteigen, diesmal aber richtig, damit es wenigstens schnell vorbei ist?

Der frisch gegossene Beton führt in einer exakten Geraden durch den neuen Park, zwischen Schwartzkopffstraße und Nordbahnhof gegenüber der BND-Baustelle. Nein, ich will weiter und beschließe, einfach besser auf den Boden zu achten. Deshalb bewundere ich heute auch den Park nicht, der eigentlich genauso aussieht wie die Brachfläche, die er vorher war.

Ich lache nicht über die vereinzelten Birken mit ihren dürren Stämmen, das olle Gestrüpp und das „Bullen-sind-Schweineköpfeee“-Graffiti. Und heute staune ich auch nicht darüber, wie genial dieser Park geplant wurde: Da wachsen Kornblumen, irgendein Getreide, Mohn, Kuckuckslichtnelken, und lauter anderes, halb wildes Zeug lockt fette Hummeln an.

Ich ignoriere den Blick auf den Fernsehturm und die Baukräne, die vom BND-Gelände aus in den Himmel ragen. Und auch diese tollen, leberwurstfarbenen Betonberge zum Draufliegen oder Herunterrutschen können mir gestohlen bleiben. Denn da kommt noch eine Schnecke und noch eine. Alle sind zertreten.

Ich will eine heil gebliebene evakuieren, eine große rotbraune. Aber sie hat sich, scheint’s, am Boden festgesaugt. Ich versuche, sie leicht am Haus anzuheben, doch da spüre ich die Kraft, mit der sie am Beton festhält. Wieder die Nackenhaare und diesmal kommen auch noch die auf den Armen dazu. Die Schnecke bleibt, wo sie ist. Hoffentlich übersteht sie den Tag.KIRSTEN REINHARDT