Fischer früh mit Visa konfrontiert

Weil der Außenminister bereits Mitte 2000 vom Chaos bei der Visa-Vergabe in Kiew wusste und darauf reagierte, wird ihm Verschleierung der Missstände vorgeworfen

BERLIN taz ■ Außenminister Joschka Fischer soll sehr früh gewusst haben, dass die deutsche Botschaft in Kiew die steigende Zahl der Visa-Anträge nicht mehr bewältigen konnte. Dies berichtete gestern die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Daraufhin wurden Fischer Vertuschung und Verschleierung über die Missstände in Kiew vorgeworfen. Mehrere Oppositionspolitiker forderten erneut den Rücktritt des Außenministers.

Nach politischen Gesprächen mit der ukrainischen Staatsführung habe Fischer am 23. Juni 2000 auch die deutsche Visa-Stelle in Kiew besucht, vor der mehr als 2.000 Antragsteller warteten. „Meine Güte, sind die alle meinetwegen hier?“, soll der Außenminister gefragt haben.

Auf einer Personalversammlung hätten die Botschaftsangehörigen dann ihre Überlastung geschildert. Fischer scheint schnell reagiert zu haben. Noch auf dem Weg zum Flughafen habe er sein Berliner Büro alarmiert: Die Botschaft in Kiew benötige mehr Personal und ein zusätzliches Gebäude. Im Oktober und November 2000 hätten dann die neuen Visa-Mitarbeiter ihren Dienst aufgenommen. Statt vier gab es nun sechs deutsche Beamte, die Ortskräfte seien von 26 auf 60 aufgestockt worden. Dennoch seien die erteilten Visa zwischen 2000 und 2002 unkontrolliert angestiegen, weil rot-grüne Erlasse „im Zweifel für die Reisefreiheit“ unverändert blieben. Der Spiegel hatte bereits vor zwei Wochen über Fischers Besuch in Kiew berichtet.

Die Opposition wirft Fischer vor, die Unwahrheit gesagt zu haben. CDU-Außenpolitiker Wolfgang Schäuble befand, es sei „ganz offensichtlich, dass Fischers frühere Einlassung, er habe sich mit der Visa-Politik nicht beschäftigt, nicht stimmt“. Das Außenamt konterte, dass sich Fischer bisher nie geäußert habe, wann er was gewusst habe.

Streit gab es auch im Visa-Untersuchungsausschuss: Der Vorsitzende und CSU-Politiker Hans-Peter Uhl beklagte sich, dass Akten im Bundeskanzleramt vernichtet worden seien. Der grüne Obmann Jerzy Montag nannte dies eine „perfide Falschdarstellung“. Die fraglichen Akten seien im Original beim Bundesnachrichtendienst vorhanden und dort auch abrufbar – das Kanzleramt habe nur Kopien vernichtet, die es zur Kenntnis erhalte habe. UH

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