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Verliebt in Berlin

Schwaben-Bashing mit Wonderwoman: Heute startet die vierte und letzte Staffel der urbanen Ersatzfamilien-Serie „Berlin, Berlin“ (ARD, 18.50 Uhr)

VON CHRISTOPH SCHULTHEIS

„Ich komm’ aus Berlin“, sagt Lolle. (Und zu sich selbst fügt sie hinzu: „Hm, ich hab’ gar nicht ‚Malente‘ gesagt.“)

Der Satz ist wichtig. Aber dazu später. Denn kurz zuvor tänzelt Lolle, die junge Frau mit dem doofen Namen, die es fast auf den Tag genau vor drei Jahren aus dem Ostseekurort Malente nach Berlin und ins ARD-Vorabendprogramm verschlug, in Zeitlupe und bekleidet mit einem sexy-peinlichen Wonderwoman-Kostüm über das Wasser eines Gartenteichs in Stuttgart, was man einfach mal so festhalten muss – und heute Abend gegen 19.11 Uhr anschauen kann.

Kurzum: Am Ende der vorangegangenen Staffel von „Berlin, Berlin“, damals, im Frühjahr 2004, war Lolle nach 66 Folgen in ihrer bisherigen Wahlheimat Berlin in einen Zug gestiegen, der nach Stuttgart fuhr. Heute in Folge 67 wohnt sie in der süddeutschen Landeshauptstadt, kehrt aber, um auch das nicht zu verschweigen, bereits am Ende der morgigen 68. Folge gegen 19.14 Uhr zurück zu ihren WG-Freunden nach Berlin. Zugleich aber war die Serie wohl niemals so sehr in der titelgebenden Hauptstadt angekommen wie in den beiden Stuttgart-Folgen, mit denen die neue Staffel beginnt. Das Bild nämlich, das „Berlin, Berlin“ von der sog. Schwabenmetropole zeichnet, ist derart unbarmherzig, wie es nur der arrogante Hauptstädter hinbekommt: Ausnahmslos alle Stuttgarter sprechen hier schwäbisch und sagen obendrein Sätze wie „Heda! Se könnet doch net eufach so a Kaugummi do hinrotze!“. Und spätestens, wenn die morgige Folge – statt mit dem üblichen „Berlin, Berlin“-Vorspann – mit „Stuttgart, Stuttgart“-Schriftzug, faden Stuttgart-Impressionen und einer auf Schwäbisch eingesungenen Version des Titelsongs beginnt, ist das weit mehr als nur eine Karikatur, sondern ein fieser, großstädtischer Angriff auf Kleinbürger-Deutschland. Ja, so gesehen ist denn auch Lolles „Ich komm’ aus Berlin“-Bekenntnis weit mehr als nur das selbstbewusste Statement irgendeiner „Raigschmeggde“, sondern toll – und der Anfang vom Ende.

Denn die heute startende Staffel der Ersatzfamilien-Serie ist ausdrücklich und definitiv die letzte. Hauptdarstellerin Felicitas Woll hat keine Lust auf weitere Folgen, außerdem seien „die Geschichten zu Ende erzählt“. Das klingt nach „Aufhören wenn’s am-schönsten ist“, und es klingt einleuchtend. Insbesondere nachdem die Serie Ende 2004 in New York mit einem „Emmy Award“ ausgezeichnet worden war, hat „Berlin, Berlin“ viel Aufmerksamkeit bekommen. Und man kann das übertrieben finden – weil es sich bei der Auszeichnung doch eigentlich nur um einen „International Emmy Award“ handelte oder weil die Serie doch eigentlich auch nur solide, zeitgemäße, manchmal (un)originelle Fernsehunterhaltung war wie viele andere vor ihr.

Dass sich die ARD mit dem Aus einen Gefallen tut, ist jedoch unwahrscheinlich. Immerhin ist aus „Berlin, Berlin“ in den vergangenen Jahren eine Marke geworden. „Berlin, Berlin“ war gut. Fürs Image. Und die Studio Hamburg Produktions GmbH hatte gut daran getan, die Serie nicht „Lolle in Berlin“ zu nennen: Mit entsprechenden Drehbüchern und bei Bedarf wechselnden Darstellern hätte sich womöglich auch „Berlin, Berlin“ einen festen Platz im ARD-Programm sichern können. Dem „Großstadtrevier“, der zweiten ARD-Vorabendserie, die nicht unbedingt die „ganze“ Familie unterhalten will, ist das doch auch gelungen. Schon möglich, dass Kontinuität und Treue fürs „Großstadtrevier“ mit Hauptdarstellern wie Jan Fedder (Jahrgang 1955) leichter zu bewerkstelligen sind als mit aufstrebenden Jungschauspielern wie Felicitas Woll (Jahrgang 1980) – und fraglich, ob das dem geplanten Nachfolgeformat, Arbeitstitel „Liebe, Liebe“, gelingen wird. So wie Berlin kann schließlich keine Liebe sein.

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