Chiles kompromissloseste Kämpferin

Gladys Marín ist tot. Die Präsidentin der Kommunistischen Partei Chiles war die wichtigste Menschenrechtsaktivistin des Landes. Ihr Ziel: Exdiktator Augusto Pinochet sollte bestraft werden. Jetzt hat Pinochet sie überlebt

BUENOS AIRES taz ■ Selbst Chiles Präsident Ricardo Lagos trauerte. Als der Tod der langjährigen Vorsitzenden der chilenischen Kommunistischen Partei, Gladys Marín, bekannt wurde, ordnete der Sozialist zwei Tage Staatstrauer an. Marín war am Sonntag im Alter von 63 Jahren an einem Gehirntumor gestorben. Mehrere tausend Menschen verabschiedeten Marín am Sonntag im Ehrensalon des alten Kongresses im Zentrum der Hauptstadt Santiago, wo der Leichnam aufgebart war.

Unter den Trauergästen war auch Präsident Lagos. Dabei sah sich Marín auch zu ihm in politischer Gegnerschaft. Sie war gegen das Freihandelsabkommen, das seine Regierung mit den USA unterzeichnet hat, sie forderte soziale Gerechtigkeit und vor allem: Sie forderte eine härtere Gangart der Regierung gegen die Mörder der Militärdiktatur (1973–1990).

Marín war die energischste und kompromissloseste Menschenrechtsaktivistin Chiles und widmete ihr Leben der Politik. Im Jahr 1958 trat sie, damals noch Lehramtsstudentin, in den Kommunistischen Jugendverband Chiles ein. Die in einem Campesino-Dorf geborene Frau kam zum Studium in die Hauptstadt Santiago und arbeitete insgesamt nur sechs Jahre in ihrem Beruf als Lehrerin für geistig Behinderte. Den Rest ihres Lebens verbrachte sie als Funktionärin der KP.

Vor dem Putsch von Augusto Pinochet am 11. September 1973 gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende war sie bereits kommunistische Parlamentsabgeordnete. Nach dem Putsch flüchtete sie in die niederländische Botschaft und konnte im Juli 1974 in die Niederlande ausreisen. Schon 1978, zu Hochzeiten der Diktatur, kehrte sie mit falschen Papieren nach Chile zurück und lebte und arbeitete im Untergrund.

Im Jahr 1976 verschwand ihr Mann, Jorge Muñoz, ebenfalls Mitglied der KP. Seine letzten Spuren führen in die berüchtigten Deutschensiedlung Colonia Dignidad im Süden des Landes. Um mit ihren beiden Kindern in Argentinien, nahe der chilenischen Grenze, den Sommerurlaub zu verbringen, ging sie ein großes Risiko ein: Sie überquerte zu Diktaturzeiten zweimal mit falschem Pass die Grenze und reiste wieder ein.

Nach der Rückkehr Chiles zur Demokratie wurde sie zur Symbolfigur des Kampfes der Diktatur-Opfer gegen Augusto Pinochet. Für Pinochets Festnahme kämpfte sie auf der Straße und im Gerichtssaal.

Zum Leichnam Gladys Maríns kam auch die Tochter Allendes, die sozialistische Parlamentsabgeordnete Isabel Allende, in Begleitung ihrer 90-jährigen Mutter. „Sie war eine außergewöhnliche soziale Kämpferin, eine Frau mit starken Werten, großem Mut, die konsequent für ihre Ideen eintrat“, sagte Allende über Marín. Doch trotz aller Kämpfe gelang es Marín nicht, ihr dringendstes Ziel zu erreichen: „Wir werden so lange weitermachen, bis Pinochet seine Strafe bekommen hat“, wiederholte sie oft. Jetzt hat der General die Kommunistin überlebt, und zwar in Freiheit. Marín wird heute in Santiago beigesetzt.

INGO MALCHER