Deutsche Börse gibt klein bei

Die Frankfurter Börse verzichtet überraschend auf die Übernahme der Londoner Stock Exchange. Die großen Aktionäre waren dagegen. Hessen dürfte das freuen

FRANKFURT/M. taz ■ Werner Seifert hat den Blues. Der Chef der Deutschen Börse AG – im Nebenberuf Saxofonist – scheiterte jetzt zum zweiten Mal damit, seine führende Börse auf dem Kontinent mit der London Stock Exchange (LSE) zu verschmelzen.

2000 hatten die britischen Großaktionäre den Zusammenschluss der beiden größten europäischen Börsen verhindert. Nun sperrten sich einige Anteilseigner der Deutschen Börse AG, vor allem die Fondsgesellschaften, gegen die Fusion. In der Nacht zum Montag teilte diese dann mit, dass sie das Barangebot von mindestens 530 Pence für jede Stammaktie der LSE – insgesamt rund 2 Milliarden Euro – zurückgezogen habe. Zudem habe die Leitung, das „Board“, der LSE keine Empfehlung für das Übernahmeangebot ausgesprochen

Offenbar spekulierten die in London fusionswilligen großen Anteilseigner der LSE zu lange darauf, dass die Deutschen ein neues, besseres Übernahmeangebot vorlegen würden. Die Anteilseigner der Börse in Frankfurt am Main waren aber nicht bereit, noch mehr Geld ihrer extrem gut „im Futter“ stehenden AG auszugeben. Sie wollten lieber ran an die Gewinne – noch über die schon zugesagte Dividende für 2004 hinaus. Seifert hat dafür Verständnis: In Gesprächen mit den Aktionären soll nun ein Konzept entwickelt werden, um weitere Barmittel an die Anteilseigner „auszukehren“, hieß es dazu gestern in einer ersten Stellungnahme.

Interesse an einer Übernahme der LSE hat auch Euronex, ein Zusammenschluss der Börsen von Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Portugal. Falls sie ein Übernahmeangebot abgibt, will allerdings auch die Deutsche Börse AG, so viel kündigte sie bereits an, eine dritte Offerte unterbreiten. Analysten in London, Frankfurt und Paris rechnen aber erst einmal mit „Ruhe an der Übernahmefront“ und einer „Stand alone“- Politik der LSE – vielleicht auch nur, um ihren Preis weiter in die Höhe zu treiben.

Dass die Übernahme bislang nicht geklappt hat, dürfte die hessische Landesregierung freuen. Diese fürchtete, ganze Börsenabteilungen könnten nach London abwandern und so Deutschlands Finanzplatz Nummer eins geschwächt werden. Seifert versuchte immer, solche Bedenken zu zerstreuen. Erst letzte Woche hatte er dem hessischen Finanzminister schriftlich versichert, die Konzernzentrale werde auch im Falle einer Übernahme in Frankfurt bleiben.

Gestern stellte er zunächst einmal klar, dass auch er selbst bleibt – und nicht daran denkt, zurückzutreten. Aus dem Börsenkeller aber klang am Mittag klagend ein Saxofon: „Worried Life Blues“ von John Lee Hooker.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT