Anstoß: Wehrmacht

Wie ein Kiewer Fußballteam mit den Nazis ums Über-leben spielen musste („Die Todeself“, ARD, 23.30 Uhr)

Was für ein Versteck! Als die Wehrmacht 1941 in Kiew einmarschierte, flohen hunderttausende Ukrainer vor den Deutschen – ihnen drohte sonst die Verschleppung als Zwangsarbeiter oder der Tod im Vernichtungslager. Unter den Fliehenden: die Fußballer von Dynamo Kiew, dem Klub des sowjetischen Geheimdienstes. Sie tauchten zunächst in einer Kiewer Brotfabrik unter – als Arbeiter und als Fußballer in der Betriebsmannschaft, dem FC Start.

Claus Bredenbrocks Dokumentation „Die Todeself“ erzählt von einem Spiel dieser Betriebsmannschaft. Ihr Gegner: die deutschen Besetzer. Fußballspiele, auch zwischen Wehrmachtsangehörigen und Ukrainern, gehörten durchaus zum Kriegsalltag. Die NS-Befehlshaber wollten so Normalität vorgaukeln und die Truppen bei Laune halten. Niederlagen waren dabei nicht vorgesehen, denn die Besatzerteams dachten, sie spielten gegen ausgemergelte, halb verhungerte ukrainische Arbeiter. Beim Spiel der Flakelf gegen den FC Start am 9. August 1942 ging das Kalkül jedoch nicht auf – mit fatalen Folgen.

Die Kicker der Brotfabrik, in Wahrheit Spitzenfußballer, demütigten die Deutschen mit einem 5:3-Sieg. „Einige Tage nach dem Spiel ist ein Auto der Wehrmacht gekommen“, gibt Vladlen Putistin die Erzählungen seines Vaters, Mittelfeldspieler Mikhail Putistin, wieder. „Dann wurden die acht Spieler mitgenommen, die früher bei Dynamo Kiew gespielt hatten.“ Das NS-Kommando hatte anscheinend Wind davon bekommen, dass sie gegen ehemalige Kader eines Geheimdienstklubs verloren hatten. Alexei Klemenko, Ivan Kusmenko und Torwart Nikolai Trusewitsch wurden im Todeslager Sirets ermordet, ihr Mannschaftskamerad Nikolai Korotkich überlebte das Verhör im Hauptquartier der Gestapo nicht.

Bredenbrocks Film lebt von den Erinnerungen der Zeitzeugen und von den Ausschnitten aus dem zwar propagandistisch verfälschten, atmosphärisch dennoch beeindruckenden Sowjet-Film „Die dritte Halbzeit“ von 1962 über die Fußballer des FC Start. Ihr Schicksal wurde in der früheren Sowjetunion schnell zur sozialistischen Heldensaga. Es hieß, alle FC-Start-Spieler seien für ihren Sieg von den Nazis umgebracht worden.

Dieser Mythos, obwohl historisch inzwischen widerlegt, hält sich bis heute. Die Start-Fußballer wurden als sozialistische Märtyrer gefeiert, aber auch als Kollaborateure gebrandmarkt, weil sie mit dem Klassenfeind Fußball gespielt hatten. So erzählt der Film auch davon, wie die Spieler zum zweiten Mal zwischen die Fronten gerieten. Dabei hatten sie eigentlich nur ein Fußballspiel gewonnen.

CHRISTIAN MIXA