Neues Tribunal in Sarajevo

Die Chefanklägerin des UN-Tribunals in Den Haag eröffnet heute ein Gericht, das sich um Kriegsverbrecher in Bosnien kümmern wird. Auch kleine Fische sollen angeklagt werden

AUS SARAJEVO ERICH RATHFELDER

Lange Jahre war Refik Hodžić der bosnische Pressesprecher für das in Den Haag gelegene UN-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien. Vor Jahresfrist quittierte er seinen Job und drehte einen kritischen Film über das Tribunal. Jetzt aber ist er auf den Posten des Pressesprechers zurückgekehrt, und zwar für das neue Kriegsverbrechertribunal in Sarajevo, das Teil des Obersten Gerichtes in Bosnien und Herzegowina sein wird.

Hodžić ist froh darüber. „Ich verdiene bei diesem bosnischen Gericht zwar nur ein Fünftel dessen, was ich beim UN-Tribunal verdient habe, aber es ist es wert, für die neue Kriegsverbrecherkammer in Sarajevo zu arbeiten.“ Denn ab jetzt würden endlich die Verbrechen während des Krieges 1992–95 vor einem einheimischen Gericht verhandelt.

Viele Bosnier denken wie Hodžić. Denn schon lange wird in Sarajevo kritisiert, dass das UN-Tribunal sich nur für die großen Fische verantwortlich zeigt. Wer wann angeklagt würde, lag zudem allein im Ermessen der Ankläger in Den Haag, nicht aber bei den einheimischen Bürgern und Behörden. Und da zudem das UN-Tribunal wahrscheinlich schon im nächsten Jahr nur noch die laufenden Fälle abarbeiten wird, befürchten viele, dass zahlreiche Mörder von damals nicht mehr bestraft werden.

In Bosnien erkennen außer den notorischen Nationalisten alle die Arbeit des UN-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag an, haben doch die Ermittler und die Verhandlungen selbst die Geschehnisse von damals rekonstruiert und damit die „Wahrheit“ ans Licht gebracht.

Noch vor einem Jahr zum Beispiel weigerten sich die politischen Vertreter der serbischen Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina, das Massaker von Srebrenica, bei dem um die 8.000 muslimische Bosnier ermordet wurden, als solches anzuerkennen und sprachen von ein paar hundert Toten. Das Gericht in Den Haag aber bewies, dass 1995 ein Massaker dieses Ausmaßes stattgefunden hatte. Und zwang die serbischen Politiker dazu, endlich die Verantwortung für das Massaker von Srebrenica anzuerkennen.

Dafür sind die Überlebenden dankbar. Doch sie kritisieren auch, dass viele Urteile zu milde ausgefallen sind. Auf mehrfachen Mord stünde doch überall lebenslänglich, und wenn einige der Angeklagten mit lediglich 10 bis 20 Jahren davonkamen, dann könne dies nicht gerecht sein, monieren sie.

Ob die neue Kammer des Obersten Gerichtshofes in Sarajevo strenger urteilen wird, ist nicht bekannt. Gewiß ist aber, dass nun jeder Bürger des Landes Verbrechen von damals anzeigen kann. Denn es waren nicht nur die rund 100 Leute, die in Den Haag abgeurteilt werden, sondern es waren Tausende, die gemordet haben.

Der Etablierung des Gerichts ging eine Übereinkunft des UN-Tribunals in Den Haag mit dem Büro des Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina im Januar 2003 voraus. Nach dieser Übereinkunft wird nicht nur die Kriegsverbrecherkammer im Obersten Gerichtshof angesiedelt, sondern auch eine spezielle Abteilung in der Staatsanwaltschaft geschaffen, die sich ausschließlich mit Kriegsverbrechen beschäftigen soll. Die Kriegsverbrecherkammer ihrerseits wird aus sechs Gerichtshöfen und einem Appellationsgericht gebildet. Jeder dieser Gerichtshöfe besteht für eine Übergangszeit von zwei bis fünf Jahren aus zwei internationalen und einem bosnischen Richter. Am Ende dieser Übergangszeit wird das gesamte Personal von der bosnischen Seite gestellt. Um das Projekt zu starten, hat die internationale Gemeinschaft für die nächsten zwei Jahre 16,1 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Wenn heute die Chefanklägerin des UN-Tribunals Carla del Ponte im Beisein vieler internationaler Würdenträger das neue Gericht eröffnet, wird Refik Hodžić viel Arbeit haben. Und sich Fragen stellen müssen, warum Carla del Ponte auf die internationalen Militärs wütend ist. Denn letzte Woche erklärte die energische Dame, sie würde am Ende des Jahres für die internationalen Institutionen unangenehme Unterlagen publizieren, wenn es nicht gelänge, die Hauptverantwortlichen der Verbrechen im bosnischen Krieg, Radovan Karadžić und Ratko Mladić, zu verhaften. Diese beiden, so Del Ponte, würden auf jeden Fall in Den Haag abgeurteilt werden und nicht in Sarajevo.