Salz und Gedächtnis

Motoi Yamamotos Trauer-Arbeit in der Galerie CAI

Das Salzstreuen soll im Winter möglichst eingeschränkt werden. Doch dies gilt nicht für Künstler. Auch sagt man, Salzverstreuen bringe Streit. Aber wenn nach genauem Plan und in 55 Stunden Arbeit 1.925 Kilo Salz in der kleinen Galerie CAI am Klosterwall zum Einsatz kommen, handelt es sich unstrittig um ein weißes Wunderwerk.

Seit zehn Jahren arbeitet der Japaner Motoi Yamamoto fast ausschließlich mit Salz. Auch in Japan ist Speisesalz ein Konservierungsmittel, zusätzlich aber mit Reinigungsritualen im Totenkult verbunden. So kam der 1966 in der Präfektur Hiroshima geborene Künstler durch ein einschneidendes Erlebnis zu seinem Material: Nachdem er sie zwei Jahre gepflegt hatte, starb seine Schwester im Alter von 24 Jahren an einem Gehirntumor. Die tagelange Arbeit des Ausstreuens der weißen Kristalle ist für Motoi Yamamoto ein Weg, seiner Schwester zu gedenken, darüber hinaus generell ein Bild der labyrinthischen Pfade, die zur Erinnerung führen.

Doch auch wenn ein Vergleich der vergänglichen Bodenarbeit mit den Sand-Mandalas der Buddhisten nahe liegt: Motoi Yamamoto versteht sich nicht als religiöser Mensch. Stattdessen hat sich der Künstler, der bereits in London oder Mailand ausgestellt hat und im New Yorker PS1 eine sieben Meter hohe Salztreppe zeigte, ein eigenes Trauer- und Erinnerungsritual geschaffen.

Als Kunst weist diese Arbeit dabei über die eigene Biographie hinaus. Denn wie sich die fast geblendeten Augen der Betrachter in den Wegen des Bodenlabyrinths verlieren, wie sich fast unmerklich zur Wand hin feine Staubnebel über die Muster legen und sich nah und fern zugleich ein Salzgebirge aufbaut – das ist schon eine fast universelle Erfahrung. In seltsamer Überlastung der Augen schleicht sich schließlich eine Umkehr der Wahrnehmung ein: Ist dies nicht der Blick bei Mondschein aus zehntausend Meter Höhe auf eine nächtlich erleuchtete Stadtlandschaft zwischen dunkler Küste und nebligen Bergen – ist dies nicht als pars pro toto ein Modell eines kalten Japan?

Hajo Schiff

Di–Fr 12–19, Sa/So 13–18 Uhr, Galerie CAI Contemporary Art International, Klosterwall 13; bis 4.4.