Die Sinne in Bewegung bringen

26 Jahre nach der ersten Beuys-Ausstellung in Bremerhaven ist die Empörung über die „heilige Kuh vom Niederrhein“ abgeebbt. Eine neue Ausstellung zeigt den ästhetischen Reiz seiner Werke.

„Think Big“ ist das Motto des Austellungsmachers Klaus Becké in Bremerhaven. Was mit Andy Warhol vor zwei Jahren geklappt hatte, ist hier wieder zu sehen: Mehr als 300 Gäste drängelten sich bei der Ausstellungseröffnung in Bremerhavens kleiner Kunsthalle, um Arbeiten von Joseph Beuys zu bewundern. Der Meister mit dem Filzhut zieht noch immer, aber er dürfte heute weniger kontrovers aufgenommen werden als zu seinen Lebzeiten vor 26 Jahren.

Damals hatte die erste große Beuys-Schau in Bremerhaven empörte Reaktionen in den Leserbriefspalten der Tageszeitung zur Folge. Da wurde mit heiligem Zorn gegen „die heilige Kuh vom Niederrhein“ zu Feld gezogen, und alle diejenigen, die es gewagt hatten, „ihr am Schwanz zu ziehen“, wurden heftigst in Schutz genommen. Einigen Besuchern drängten sich „Vergleiche mit einem Medizinmann im Busch auf“, andere störten sich am metaphysischen Vokabular des Gurus, am „Kotau vor dem publicity-getränkten Namen“. Ein aus Berlin angereister Gast geißelte die „vorgetäuschte Substanz, die nicht vorhanden ist“. Er sah in Bremerhavens Beuys-Ausstellung ein typisches „Symptom für Erscheinungsformen der Dekadenz in Westeuropa“.

Heute ist alles anders: Eine große Koalition aus Politik und Wirtschaft hat das kostspielige Projekt gefördert, und beim kurzen Blick auf die ausgestellten Werke – allesamt aus dem Bestand des Museums Schloss Moyland – überkommt niemanden mehr das „Gruseln“, das damals lauthals und Beifall heischend bekundet wurde. Eine Serie von Texttafeln dokumentiert diese Geschichte höchst amüsant. „Die geheime Botschaft der Materialien“ ist der schöne Titel der Ausstellung, die 50 Leihgaben, Zeichnungen, “plastische Bilder“, Objekte und Multiples aus den Jahren 1952 bis 1985 zeigt.

Da werden die bekannten Materialien verwendet, neben Fett und Filz auch Wachs, Honig, Schokolade oder Stanniolpapier. Daneben das große plastische Werk „Tisch mit Aggregat“ (1983/1985) aus Bronze und Kupfer. Die Wirkung ist erstaunlich: Was hier – meist relativ kleinformatig, gut behütet unter Glas oder in Vitrinen – betrachtet werden kann, kommt ohne die Patina des Musealen daher. Vielleicht wird heute, fernab aller Polarisierungen von einst, die Schönheit dieser Werke viel unbefangener wahrgenommen. Das Multiple „aus Künstlerpost“ (1969) zeigt, wie auf einer eingeschweißten Plastikhülle Margarine und weiße Schokolade im Lauf der Zeit zu einer abstrakten Landschaft zerlaufen sind, die der Künstler mit seinem Namen gestempelt hat.

„Ranzig und unansehnlich“ wirkt das, was die Zeit aus dem Zerschmelzungsprozess der Materialien gemacht hat, keineswegs. Im Gegenteil, der ästhetische Reiz ist groß.

Auch das Multiple „Samurai-Schwert“ von 1983 – Filz um Metall gewickelt – wirkt noch immer anregend, und wer ein wenig um die Ecke guckt, wird in dem Material des plastischen Bildes „Zeitung mit Kordel“ eine bekannte Frankfurter Tageszeitung erkennen, die Beuys hier zweifach gefaltet und mit einer von einem roten Pinselstrich hervorgehobenen Kordel eingeschnürt hat. „Man muss etwas zeigen, was noch geheimnisvoll sein kann. Das bringt die Sinne in Bewegung, weil sie begreifen möchten“. Beuys, der große Kommunikator, hat Spuren hinterlassen – in Bremerhaven sind sie nun zu sehen. Hans Happel

Joseph Beuys, Die geheime Botschaft der Materialien. Kunsthalle Bremerhaven, 6. März bis 8. Mai.